Chinas Kanzlerin

BESUCH Ministerpräsident Li Keqiang ist in Berlin hochwillkommen. Doch Angela Merkel darf mit ihm nicht nur über Wirtschaft sprechen

Wenn Chinas neuer Ministerpräsident Li Keqiang am Wochenende die Bundeskanzlerin zum Antrittsbesuch in Berlin trifft, werden beide wieder das besonders gute Verhältnis zwischen Peking und Berlin herausstellen. Und gewiss wird Li ein ähnlich enges persönliches Verhältnis zu Angela Merkel anstreben wie sein Vorgänger Wen Jiabao.

Die besonderen Beziehungen zwischen Peking und Berlin zeigen sich schon an der Reiseplanung. Li besucht bei seiner ersten Auslandsreise als Premier in der EU nur Deutschland. Die Bundesrepublik ist Chinas größter Handelspartner in Europa und für China das wichtigste Land auf dem Kontinent. Peking sieht Deutschland als wirtschaftlichen Motor in Europa und zunehmend auch als politisch tonangebend. Mit keinem anderen Land hat China jährliche Konsultationen der Regierungskabinette.

China bekommt nicht nur die meisten deutschen Auslandsinvestitionen, sondern stuft die Bundesrepublik als wichtige Quelle für Technologien ein – und wegen ähnlich gelagerter Exportinteressen gar als eine Art Vertreter in Brüssel. Die EU-Kommission hat empfindliche Strafzölle für chinesische Solarpanele angekündigt, die ab 5. Juni wirksam werden sollen. Doch statt nach Brüssel zu fahren und dort den Solarstreit zu schlichten, macht Li lieber der Kanzlerin die Aufwartung. Die deutsche Industrie hat sich aus Angst vor chinesischer Vergeltung bereits gegen die Strafzölle ausgesprochen, die deutsche Regierung interveniert entsprechend in Brüssel.

Den Deutschen schmeichelt die Wertschätzung aus Peking. Zugleich profitiert die deutsche Wirtschaft von den guten Beziehungen. Die große Nachfrage aus China ist mitverantwortlich für Deutschlands positive Wirtschaftsdaten, wobei das devisenstarke China hierzulande auch als Investor wichtiger wird.

Dabei war das Verhältnis zwischen Berlin und Peking in den letzten Jahren nicht immer so gut. Im Herbst 2007 wurde Merkel von Peking geschnitten, weil sie den Dalai Lama empfangen hatte. Peking setzte den Rechtsstaatsdialog aus und sagte einige Treffen ab. Chinas europäischer Liebling wurde Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy. Einige Jahre zuvor waren noch Frankreichs Vertreter geschnitten worden, weil Paris Waffen an Taiwan geliefert hatte. Und jetzt, wo Merkel längst wieder hofiert wird, grollt Peking dem britischen Premier David Cameron. Der hatte vor einem Jahr gewagt, den Dalai Lama zu treffen und damit die Lektion ignoriert, die Peking Merkel erteilt hatte.

Bisher ist es Peking immer wieder gelungen, die Europäer gegeneinander auszuspielen. Noch ist nicht entschieden, ob Deutschlands gutes Verhältnis zu China eine gemeinsame Vertretungen strategischer europäischen Interessen gegenüber Peking schädigt; oder ob umgekehrt Deutschlands Sonderrolle auch Europas Gewicht stärken kann – ohne sich dabei gegen die USA ausspielen zu lassen. Denn eben dies war zu beobachten, als Peking seine Entscheidungen für Flugzeuge von Boeing oder Airbus von politischem Wohlverhalten abhängig zu machen versuchte.

Der nachhaltige Erfolg deutscher China-Politik misst sich nicht am Volumen von Handel und Investitionen, der Zahl von Menschenrechtsdialogen und der landesweiten Propagierung des Umweltschutzes. Er misst sich daran, ob übermäßige deutsche Abhängigkeiten von China vermieden wird und ob gegenüber Peking gemeinsame europäische Interessen vertreten werden. Da es im gemeinsamem Interesse ist, dass die europäischen Regierungen ihre Gesprächspartner ohne Druck von Peking selbst bestimmen, ist die Kanzlerin gerade wegen ihres guten Verhältnisses zu Peking so prädestiniert und gefordert wie niemand sonst dies anzusprechen. Und Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass Treffen mit dem Dalai Lama innerhalb der EU koordiniert werden und die Union hier zusammenhält. Zu erkennen ist von alldem derzeit allerdings gar nichts. SVEN HANSEN