Die Form des Unmöglichen

Bildhauer des eigenen Leibes: In Düsseldorf ist die Arbeit Leigh Bowerys zu sehen, gesehen durch die Kamera von Fergus Greer. Bowery war einer der großen Inspiratoren – Madonna bediente sich bei ihm, Boy George betätigte sich gleich als sein Epigone

Leigh Bowery ging so weit, dass erwährend eines Auftritts zum Ende des Songs „Useless Man“ sehr anschaulich ein weibliches Wesen „gebar“

von MAGDALENA KRÖNER

Es klingt, als habe Jean Baudrillard diesen Satz einzig für Leigh Bowery geschrieben: „Der Verführung wohnt die Macht inne, alles seiner Wahrheit zu berauben und wieder in das Spiel eintreten zu lassen, ins reine Spiel des Scheins, um dort im Handumdrehen die Sinn- und Machtsysteme zunichte zu machen.“ Denn Bowery, der Entertainer, Modedesigner, Musiker, Tänzer, Kostümbildner und Performer, war vor allem ein großer, ein professioneller Verführer.

Auch wenn er die Machtsysteme der Londoner Gesellschaft natürlich nicht gleich zum Einsturz brachte, wirbelte er doch gründlich durcheinander, was zuvor Hierarchien und Genres säuberlich voneinander geschieden hatten.

Der 1961 in Sunshine, Australien, geborene Bowery kam 1980 nach London, als die Clubszene sich auf ihren Höhepunkt zubewegte und auf schrillen Mottopartys Mode, Design und Performancekunst gefeiert wurden. „Ihm ging es darum, vorgefasste Vorstellungen vom menschlichen Körper über den Haufen zu werfen“, bemerkt der Fotograf Fergus Greer zu Leigh Bowerys künstlerischem Ansatz. Damit wurde er rasch zum Star der Szene: als Kostümbildner und Tänzer in Michael Clarks Tanztruppe, als Besitzer des exaltierten Clubs Taboo und schließlich als anerkannter Künstler in der Galerie von Anthony d’Offay, wo Bowery sich zwei Wochen lang in täglich neuen Verkleidungen ins Schaufenster setzte.

Fergus Greer fotografierte den Exzentriker über sechs Jahre hinweg und zeigt sich dabei als zurückhaltender Chronist, der die unauffälligen Sets schuf, in denen die ganze physische Wucht und skulpturale Qualität von Leighs Kostümen zur Geltung kam. Schlichte weiße, schwarze oder graue Hintergründe, dazu gleichmäßiges, beidseitiges Studiolicht – das war genug Bühnenaufbau für Bowery.

Allerdings wird die Ausstellung mit seinen Fotografien im Düsseldorfer NRW-Forum Kultur und Wirtschaft nicht dem performativen Charakter von Bowerys Arbeit gerecht, wie das einer Ausstellung im Londoner ICA vor vier Jahren gelang. Dort zeigte man neben den Kontaktbögen auch unterschiedliche Sequenzen der einzelnen Sessions, die einen fast filmischen Blick auf die ausgeklügelten Bewegungsabfolgen des Künstlers zuließen. Dafür laufen in Düsseldorf die Videos des Dokumentarfilmers Charles Atlas, die das schauspielerische Talent Bowerys zeigen. „Teach“ ist so eine schöne kleine Travestie: zu einem Soulsong mimt Bowery mit verschlossenem Mund und weit aufgerissenen Augen ein Playback – allein durch seine Augen- und Gesichtsmimik.

Die Frau, die schweigt und nur durch ihre Augen spricht – wie hier orientierten sich viele von Bowerys Körperinszenierungen an den Codes des Weiblichen und seinen kulturhistorischen Ursprüngen. Er ging so weit, dass er während eines Auftritts mit seiner Band Minty am Ende des Songs „Useless Man“ sehr anschaulich ein weibliches Wesen „gebar“. „Geschmacklos!“, wetterte das breite Publikum – Bowery war es recht. „Er wollte, dass die Leute sich gruseln“, erzählt Nicole Bowery, seine Muse, Assistentin und Ehefrau.

Bowery begriff das Skulpturale, das in allen künstlerischen und modischen Hypertrophierungen des Weiblichen liegt – und inszenierte es durch Stoffe, Netze, Drapierungen, Raffungen, durch prothetische Einsätze aus Styropor und Schaumgummi, durch Gürtel, Pailletten und Schminke in einer radikalen Weise. Es ging ihm dabei weder um Kategorien von Schönheit oder Hässlichkeit, noch ging es ihm um perfekte Inkarnationen weiblicher oder männlicher Archetypen, wie in der Travestie- oder schwulen Clubszene üblich. Er ließ die Grenzen biologischer Geschlechtlichkeit hinter sich, wenn auch Urbilder wie die Schwangere oder der Cowboy gelegentlich auftauchten.

Die Vielfalt seiner kreativen Quellen schien unerschöpflich. So gab es in seinen Körperperformances Anklänge aus der Fetischkultur wie die schwarze Lacklady mit Perücke, die er für die „Torture Garden“-Party im Taboo entwarf; doch ebenso verarbeitete er Ideen aus der Commedia dell’ Arte und aus dem japanischen Kabuki-Theater. Doch was herauskam, war stets eine originäre Mischung aus Verkleidung und Skulptur, High and Low, Trash und Hochkultur. Wiederholt verarbeitete Bowery aber auch politische Bezüge wie eine Reihe von Verkleidungen mit Wehrmachts- und Nazianklängen.

Bowery wurde zu einer wichtigen Inspiration für Designer wie Rifat Ozbek und Ghost, und er trug, fünf Jahre vor Jean-Paul Gaultiers Korsettkollektion, die Madonna zum Bühnenoutfit kürte, Halskrausen und geschnürte Taillen. Die Ideen, die Bowery lieferte, waren dem, was die Modemacher daraus machten, an Radikalität weit voraus. Er versuchte sich selbst als Modedesigner, jedoch ohne kommerziellen Erfolg, weil seine extravagante Kollektion aus rosa Pyjamas und grauen Fellmänteln vorzugsweise von ihm selbst und nicht von der Masse getragen werden sollte.

Trotz seiner zahlreichen Kontakte und Kooperationen führte Bowery also keineswegs ein saturiertes Exzentrikerdasein. Seine Existenz im Umfeld der Club- und Modeszene war vielmehr durchgängig von Geldmangel bestimmt. „Oft zerriss er alte Kostüme, um daraus wieder etwas Neues zu machen. Er hatte so gut wie nie Geld, und dass er seine Arbeit mit allen Konsequenzen als Kunst verstand, machte es für ihn natürlich nicht leichter“, erzählt Fergus Greer rückblickend.

Einer seiner vielen Epigonen war der Sänger Boy George. Nach dem Ende seiner Solo-Gesangskarriere stilisierte sich dieser zum Alter Ego Bowerys und kopierte viele seiner Ideen und sein Auftreten. Mit seinem Musical „Taboo“, benannt nach Bowerys Club, hielt Boy George jedoch in gewisser Weise die Erinnerung an die Subkulturfigur Bowery aufrecht – bis dieser erstmals in diesem Jahr einem größeren internationalen Publikum vorgestellt wurde. Auf der Biennale von Venedig gab es in den Arsenalen eine kleine Sonderschau, in der einige seiner Kostüme und Fotografien Greers gezeigt wurden.

Mit seinen Performances bei Anthony d’Offay geriet Bowery ins Umfeld der „seriösen“ Kunst. Lucian Freud entdeckte den Paradiesvogel und bat ihn als Modell in sein Studio. Freuds Porträts zeigen einen nur scheinbar „authentischen“ Bowery, nackt; seinen massigen Leib von allen Seiten zur Schau gestellt. Am eindringlichsten ist ein stilles Porträt Bowerys: Mit geschlossenen Augen scheint er ganz in sich selbst zurückgezogen; das Gesicht müde und eingefallen. Vielleicht eine Ahnung – seit 1988 wusste er von seiner HIV-Infektion. Als Bowery Silvester 1994 mit 33 Jahren an Aids stirbt, ist er längst larger than life.

Bis 12. März, Katalog, 19,80 €