Alles eine Frage der Sprache

THEATER Die Performances „Theater“ und „The Favor“ der Kunsthochschule Bern zeigen im Theaterdiscounter schrille Körperlichkeit

VON ANNETT JAENSCH

Eine sprechende Büste empfängt das Publikum im Theaterdiscounter. Ein Schweizer Abend der besonderen Art wird es werden, denn zwei Performances frisch von der Hochschule der Künste Bern sind angekündigt. Der Mann, der im Sockel steckt und lediglich seinen Kopf als theatrale Fläche bloßlegt, ist Cornelius Danneberg. Zuerst fällt Unverständliches aus seinem Mund, staccatohaftes Zischen folgt, bis sich schließlich klare Worte formen. Für die Performance „Alles“ hat sich Danneberg Inspiration bei der gleichnamigen Erzählung von Ingeborg Bachmann geholt. Darin scheitert ein junger Vater grandios bei dem Versuch, seinem Sohn eine neue, unverdorbene Welt zu erschließen. Die Grenzen des menschlichen Ausdrucks zu überwinden, stattdessen die Stein-, Wasser- oder Blättersprache zu lehren, das schwebt dem Protagonisten vor. Während in der Erzählung dieser Utopismus gehörig auf Grund läuft, spinnt Danneberg den sprachphilosophischen Faden weiter.

„Alles ist eine Frage der Sprache“, diesen Kernsatz aus der literarischen Vorlage nimmt Cornelius Danneberg wörtlich. Zerdehnt Silben, kaut Wortfetzen durch, bis diese gänzlich neue Lautqualitäten gebären. Am Ende verschwindet er unvermittelt in seinem Podest, während die furios atemlose Dekonstruktionsshow noch nachhallt, irgendwo angesiedelt zwischen Dada und dem Experimentalkomponisten Georges Aperghis.

Lasst es krachen, das mag der Mentor Ivo Dimchev den Berner Schauspielstudenten in seinem Workshop mit auf den Weg gegeben haben. Dass die Zusammenarbeit fruchtbar gewesen sein muss, beweist die zweite Performance des Abends, „The Favor“.

Zwischen Spaß und Ernst

Der gebürtige Bulgare Dimchev stilisiert am liebsten den eigenen Körper zum Kunstmittel und schert sich dabei wenig um Genrezuordnungen. Der Hang zu Extremen, den er in bislang rund 30 Produktionen bewiesen hat, brachte ihm den Beinamen „Radikalperformer“ ein. In allen Dimchev-Performances öffnet sich ein schriller Kosmos: exaltiert, ekstatisch, komisch, abstoßend oder anrührend. Diese Haltung scheint sich auch auf seine Studenten übertragen zu haben. „Sich als Künstler nicht schonen“, so bringt Nils Amadeus Lange die Erfahrungen im Workshop auf den Punkt. „Spaß und Ernst. Das macht die Arbeit mit Ivo Dimchev aus.“

Diese beiden Pole reizen die sieben Performer dann auch gehörig aus. Cynthia Gonzales hockt auf dem Schoß von Anne Welenc, ein Schweizer Fähnchen in der Hand, und grimassiert sich ihr Unbehagen aus dem Leib, dass es beim Zuschauen wehtut. Lacher provozieren die beiden, wenn sie sich in wechselnden Konstellationen mit nacktem Oberkörper gegenübersitzen und Fragen an den Partner mit einem Malträtierungsritual verbinden. Da werden Brustwarzen gekniffen und es wird so lange auf Haut geklatscht, bis sie rot glüht. Auch wenn inmitten der Textcollagen mit allerhand Explizitem die Zwischentöne ein wenig zu kurz kommen, wird doch eins deutlich: Hier agieren Darsteller, die auf dem Weg sind, ihre eigene Handschrift zu finden. Die Hochschule der Künste in Bern stellt dafür das geeignete Kreativbiotop dar. Ein ganz eigener, schräger Ort sei das, findet Cornelius Danneberg. Reizvoll für den Theaternachwuchs ist offenbar die Mischung: Das transdisziplinäre Modell verbindet solides, klassisches Handwerk mit Angeboten, die Experimente zulassen und die eigene Autorenschaft stärken. Ins kalte Wasser geworfen zu werden gehöre dazu. Stücke, die sich durch Direktheit und Antiillusionismus auszeichnen, so definiert der Berliner Theaterdiscounter sein Profil. Der eidgenössische Theaterexport ist diesem Anspruch voll gerecht geworden.

■ Heute, 20 Uhr, Theaterdiscounter