Der Mann, der durch China wanderte

SINOLOGE Statt den kolonialen Interessen des Kaisers zu dienen, sah Otto Franke genau hin. Das Museum für Asiatische Kunst in Dahlem widmet dem Pionier der Chinaforschung in Deutschland eine Ausstellung

Otto Franke machte keinen Hehl daraus, dass er die Politik der Kolonialmächte in China, einschließlich der Deutschen, nicht besonders schätzte

VON FELIX LEE

So wie die Fotos, Malereien, Dokumente und Bücher aussehen, würde man nicht auf die Idee kommen, dass viele dieser Exponate 100 Jahre alt sind und manche sogar noch älter. Besonders beeindruckend: goldene Schriftzeichen auf einem roten Stück Papier, das einst eine ähnliche Funktion wie eine Visitenkarte hatte. Nicht ein Knick ist zu erkennen. Der gute Zustand lässt darauf schließen, dass der Sammler Otto Franke seinem Forschungsgegenstand China nicht nur mit großem Eifer nachgegangen, sondern ihm auch mit viel Respekt begegnet ist – für den damals sehr kolonial geprägten Zeitgeist war das keineswegs eine Selbstverständlichkeit.

Anlässlich von 100 Jahren in Deutschland betriebener Sinologie widmet das Museum für Asiatische Kunst in Dahlem einem ihrer Pioniere, Otto Franke, eine Sonderausstellung, in der zahlreiche Schriften, Zeichnungen und Gegenstände aus seinem Leben zu sehen sind. Franke wurde im Januar 1910 auf den ersten deutschen Lehrstuhl für „Sprachen und Geschichte Ostasiens“ berufen, der am damaligen Kolonialinstitut in Hamburg eingerichtet worden war. Damit begann sein wissenschaftlicher Aufstieg.

Dolmetscher und Forscher

Zuvor war Franke 13 Jahre lang als Dolmetscher für das Auswärtige Amt in China tätig gewesen, unter anderem an der Deutschen Kaiserlichen Gesandtschaft in Peking, später in den Konsulaten von Schanghai, Tianjin und Amoy (heute Xiamen). Doch seine Interessen gingen schon bald über seine Übersetzertätigkeiten hinaus. Er nutzte seine Freizeit, um vor allem einer Leidenschaft nachzugehen: der Wanderschaft. Wie seine Tagebuchaufzeichnungen belegen, unternahm er vor allem Reisen, die ihn in das Landesinnere brachten. Mit Maulesel oder Ochsenkarren, zum Teil auch mit dem Boot oder einfach nur zu Fuß begab er sich vorzugsweise in Wald- und Bergregionen. Auf diesen Reisen entstand eine große Sammlung von Fotos, die nicht nur Aufschluss über das damalige Leben im ländlichen China geben, sondern auch zeigen, mit welcher Hochachtung Franke dem einfachen Leben der chinesischen Bauern begegnete. Von Beginn an bemühte er sich um einen vorurteilsfreien Blick auf China.

Aber genau dieser Blick wurde für ihn zum Problem. Während seiner Dienstzeit als Dolmetscher war er auch unmittelbar involviert in Verhandlungen der chinesischen Regierung mit den Kolonialmächten. Und offensichtlich machte Franke keinen Hehl daraus, dass er die Politik der Kolonialmächte in China, einschließlich der Deutschen, nicht besonders schätzte. Offiziell reichte er 1902 sein Abschiedsgesuch beim diplomatischen Dienst ein, mit der Begründung, dass er dort für sich keine Aufstiegsmöglichkeit mehr sah. Später gestand er, dass ihn sein wissenschaftliches Interesse an China und seine ganz persönliche Anteilnahme beim Auswärtigen Amt nicht besonders beliebt gemacht hatten. „Die offizielle Haltung hatte eine kolonialistische zu sein und nicht eine transkulturell-vermittelnde“, beschreibt seine Enkeltochter Renata Fu-Sheng Franke, Kuratorin der Ausstellung und ebenfalls Sinologin, den damaligen Zeitgeist. Die chinesische Seite brachte ihm hingegen große Hochachtung entgegen.

„Bei meiner Beurteilung politischer und kultureller Entwicklungsvorgänge im Fernen Osten habe ich mich alle die Jahre hindurch von dem Bemühen leiten lassen, diese Vorgänge in jedem Falle aus dem ostasiatischen Geistesleben heraus zu erklären und sie in ihren geschichtlichen Zusammenhängen zu erfassen“, schreibt er später. Es sei stets seine Überzeugung gewesen, dass die Deutschen nur auf diesem Wege zu einer „gerechten Würdigung der ostasiatischen Kultur, ihrer gegenwärtigen Umformung und deren Bedeutung“ gelange. (...) Als Universalgelehrter widmete er sein Leben fortan aufzuzeigen, was die Sinologie imstande ist, an Aufklärung auch hierzulande zu leisten. Spätere Angebote, zum Auswärtigen Dienst zurückzukehren, lehnte er ab.

Des „Spiegels“ gelbe Gefahr

Sein letztes Werk schrieb Otto Franke anderthalb Jahre vor seinem Tod im Jahre 1946. Dabei handelte es sich um seine Autobiografie, die 1954 posthum von zwei seiner vier Kinder herausgegeben wurde.

Der Verlag versah das Werk mit einem reißerischen Schutzumschlag, auf dem in gelber Farbe ein hässlicher Chinese abgebildet war – gegen den ausdrücklichen Willen der Herausgeber, erinnert sich Enkeltochter Renata Franke: Inhalt und Tenor des Buchs würden genau das Gegenteil einer dämonisierenden Beschwörung Chinas vertreten als die „gelbe Gefahr“.

Was weder zur Kaiserzeit selbstverständlich war noch in den 50er-Jahren, ist es heute offensichtlich noch immer nicht. Eine Geschichte über chinesische Industriespionage in Deutschland betitelte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel im August 2007 mit: „Die gelben Spione“. Auch heute würde es für jemanden wie Otto Franke noch viel zu tun geben.

■ Die Ausstellung ist noch bis zum 5. April in der Ostasiatischen Kunstsammlung in Dahlem zu sehen