Alles auf Angriff

Die Zeit der Öffnung scheint vorbei zu sein: In Marokko verklagen Politiker und Staatsanwaltschaft Medien wegen unliebsamer Nachrichten

AUS MADRID REINER WANDLER

Die unabhängige marokkanische Journalistengewerkschaft und der marokkanische Herausgeberverband schlagen Alarm. Die Zeit der demokratischen Experimente des jungen Königs Mohamed VI. scheint vorbei. In den letzten Monaten wurden Herausgeber und Redakteure von insgesamt sieben Zeitschriften vor Gericht gestellt. Allen ist eins gemeinsam: ihre Lust auf freie Information. Für die Richter erfüllen die Texte den Straftatbestand der „Diffamierung des Königshauses“, der „Beleidigung“ hoher Amtspersonen oder zeugen gar von „fehlendem Respekt gegenüber Religion und Vaterland“. Dafür gibt es Gefängnisstrafen und Bußgelder, die für einen Marokkaner außerhalb des Vorstellbaren liegen.

„Verbreitung falscher Informationen“ und „unerlaubte Veröffentlichung von Fotos des Königshauses“, lautet der Vorwurf, wegen dem sich der Herausgeber der Wochenzeitung Al Ayam, Nour Eddine Miftha, und die Redakteurin Meriem Moukrim seit dem 23. Januar verantworten müssen. Den beiden drohen bis zu einem Jahr Haft und bis zu 10.000 Euro Geldstrafe. Ihr Vergehen: Sie hatten ein Dossier über die Geschichte des königlichen Harems unter dem Großvater und Vater des heutigen Königs Mohamed VI. veröffentlicht. Die Frauen des 1999 verstorbenen Hassan II. leben bis heute im Palast, obwohl Sohn Mohamed VI. mit dem Brauch des Harems gebrochen hat.

Ebenfalls im Laufe dieses Monats muss der Herausgeber von Al Michaal, Driss Chatane, vor den Kadi. Er war den Wächtern der Presse zu solidarisch. Al Michaal hatte Ende Dezember das Titelblatt der Wochenzeitung Al Bidaui nachgedruckt, gegen die ebenfalls ermittelt wird. „Gott verdamme die Religion dieses Landes“, war dort zu lesen. Diesen Fluch benutzen die Marokkaner tagtäglich, um sich über die verheerenden Zustände in ihrer Heimat Luft zu machen. Gedruckt soll dies jetzt „ein Angriff auf Islam und Vaterland“ sein.

Die Prozesswut im Namen der marokkanischen heiligen Dreifaltigkeit „König, Vaterland und Religion“ trifft nicht mehr nur die unabhängige Presse. In der ersten Januarwoche eröffnete die Staatsanwaltschaft von Casablanca ein Ermittlungsverfahren gegen die einzige spanischsprachige Publikation Marokkos La Mañana wegen eines „Angriffs auf die Monarchie und die Einheit des Landes“. Das Blatt, das zum gleichen Verlag wie Le Matin du Sahara et du Maghreb, die dem Königshaus am engsten verbundene Tageszeitung, gehört, berichtete, dass der ehemalige bulgarische König und spätere Regierungschef Simeon II. lange Jahre einen Teil des Vermögens des marokkanischen Königshauses verwaltet habe.

Längst haben auch Abgeordnete und Minister die Justiz als effektives Mittel im Kampf gegen unliebsame Nachrichten entdeckt. So wurden der Herausgeber und der Nachrichtenchef der Zeitschrift TelQuel wegen „Verleumdung“ zu zwei Monaten Haft und jeweils 72.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Sie hatten in einem Artikel den wundersamen Werdegang einer Abgeordneten von der Sängerin von Volksliedern zur einflussreichen Politikerin einer der Regierungsparteien aufgezeigt.

Damit sich die Untertanen von Mohamed VI. nicht anderswo freie Informationen verschaffen, wird in Marokko immer stärker das Internet zensiert. So wurde Anfang Dezember der Zugriff auf Sahraui-Websites gesperrt. Die Autoren dieser Seiten sind meist Sahrauis und setzen sich für die Unabhängigkeit der Westsahara ein. 1976 von Spanien unabhängig geworden, wurde das Land sofort von marokkanischen und mauretanischen Truppen annektiert. Als vor kurzem Reporter ohne Grenzen empfahl, www.anonymizer.com zur Umgehung der marokkanischen Internetzensur zu nutzen, wurde auch dieser Dienst gesperrt.