JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT
: Zeitgeistig im Aquarium

Parallelgesellschaft der Mitte, wo sie mittiger nicht tickt: Wohnungseröffnung in Berlins Auguststraße

Sie überhaupt zu bekommen, klang es aus dem Small-Talk-Knäuel am Esstisch (Kastanie, geölt), sei „reiner Zufall“ gewesen. Es muss als Geste einer Fee genommen werden, denn 700 Euro für diese 140-Quadratmeter-Flucht seien „geschenkt“. Zumal in der Auguststraße. Das ist eine Gasse in Berlins Mitte, die sich von der Kulturruine des Tacheles quer durch jenes Quartier zieht, das man gern hat, in dem zu hausen man ersehnt, wenn man in Berlin ansässig werden will. Hier wohnt man als Pose, die eine Welthaltung markieren möchte – man ist offen, schwört auf flüssige Geisteszustände, ist undogmatisch und hört Musik zwischen Ethnofolk und Elektrosmog. Die Restaurants sind durch die Bank teuer, aber das macht gar nix, denn geht man dort speisen, applaudiert man vielleicht auch den Speisen, gibt man gutes Trinkgeld, vor allem aber seiner und ihrer eigenen Potenz, ebendies sich leisten zu können.

Kneipen gibt es fast gar nicht, Hartz IV ist alles in allem ein fremder Aggregatzustand des Sozialen, man kommt zurecht, „mit Projekten“, mit Plänen, Visionen und Utopien, deren Kraft zu träumen sich vermutlich aus Elternhäusern nährt, die man verlassen hat, um ganz Teil der Fantasie namens Metropole zu werden. Berlins Mitte, hier an der Auguststraße, das war bis Mitte der Dreißigerjahre ein übel beleumundetes Loch voll wabernder Gerüche; schlechte Verhältnisse, ein Viertel der sogenannten Ostjuden, Einwanderern aus Russland, der Ukraine, Polen, die es dort nicht mehr aushalten wollten, nicht die Armut in den Schtetln, nicht die Pogrome. Die Auguststraße, das war die Zwischenstation, auf dass man es bis ins feinere Charlottenburg schaffen werde. Jetzt ist natürlich alles anders – man wohnt dort, weil dort der Aufbruch vermutet wird.

Die prekären Jahre nach der Wende sind freilich vorbei; inzwischen gibt es hier Kinder, man ist sesshaft geworden. Supermärkte hat es immer noch nicht so recht, aber Restaurants, durch die Glasfassaden an Aquarien erinnernd. Das macht nix, hieß es bei der Wohnungseinweihung, denn „ruhig zu wohnen und in der Stadt zu sein“, das sei es, was zähle. Die Party lebt von Medienmenschen, von Bildhauern, Malern und Musikern. Man hat eine Cateringfirma angeheuert, die, was sonst, asiatisches Fingerfood serviert. Sie mögen früher auf WG-Feten Nudelsalat zubereitet haben – aber Berlins Auguststraße ist kein Pflaster für unaufgeräumte Wohngemeinschaften: Hier residiert man, schließlich wohnt man, von erwähnten Schnäppchen abgesehen, doch preislich im gehobenen Bereich, wenn man nicht gleich „etwas Berlin gekauft“ hat.

Und wie wohnt man dort nun? Transparent. Ja, durchsichtig. Die Räume luftig, Küche, Wohnzimmer und Flur verschwimmen – was den Eindruck von Ganzheitlichkeit aller Lebenstätigkeit erzeugen soll, schätzungsweise. Kurz vor Mitternacht sind es 150 enge Freunde, die aufeinander anstoßen, das Schnäppchen bestaunen, das Interieur, welches im Übrigen bar allen ornamentalen Schnickschnacks ist. Mehr Bauhaus, weniger Ikea, nirgends eine Couch, Stühle mit hohen Lehnen, viel Flötotto an den Wänden, Bücher von Orhan Pamuk, Sven Regener, ein Kunstband zur RAF-Ausstellung und einige Taschenbücher von Henning Mankell. Gemütlich sieht es vielleicht in drei Jahren aus – jetzt unterscheidet sich die Wohnung kaum von einer Galerie mit Teeküche.

Die Bilder dieser Ausstellung sind farblich taktvoll, der Wok gart vor sich hin, der Wein von einem „kleinen Händler in der Kastanienallee“ mundet – und immer weniger wird geraucht, auch das fiel auf bei diesen Menschen, die feine Kleidung tragen und eine Aura von unentschlossener Hungrigkeit verströmen, auch beim Small Talk: „Merkel macht es doch gut“, „die Demografie macht mir Sorgen“, „neulich im Roten Salon“ und „du musst in diese Sushibar da am Kollwitzplatz gehen, absolut super, absolut“. Auch auf diese Leute kann Angela Merkel nicht zählen: Sie haben Appetit nur noch auf Geschmack und Sonderangebote, und seien sie auf dem Wohnungsmarkt zu finden.

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