Ganz normale Lebenslinien

Mit ihrer Ausstellung über Trümmerfrauen möchte Adelheid Schardt das Gespräch über eine unauffällige Generation anstoßen. Die Dokumente, Fotos und Interviews mit Zeitzeuginnen sind jetzt in den Räumen von Berliner Unterwelten e. V. zu sehen

Im Osten gehörte die Trümmerarbeit mit zur gesellschaftlichen Identitätsstiftung

VON KATHRIN SCHRADER

Man hat ihnen Denkmäler und pathetische Reden gewidmet. Das Bild der mageren Frauen in langen Schürzen, die Haare mit einem Kopftuch vorm Staub geschützt, bleibt dennoch statisch. Trümmerfrauen. Das Wort schmeckt nach Ersatzkaffee und billiger Margarine.

„Ich habe sie vermisst“, sagt Adelheid Schardt, „letztes Jahr, als überall Veranstaltungen und Ausstellungen zu sechzig Jahre Kriegsende stattfanden. In den Ausstellungen gab es dann irgendwo eine Ecke, wo eine Trümmerfrau vorgestellt wurde. Es war wie ein Alibi“. Die Sozialwissenschaftlerin beschloss, sich auf die Suche nach den Frauen zu begeben, die damals in den zerbombten Straßen Berlins Schutt sortiert und Steine wieder in Form gebracht haben. „Ich war neugierig, was sie uns, die wir im Wohlstand aufgewachsen sind, sagen würden: Wie haben sie die Entwicklung der Nachkriegszeit erlebt? Wie geht es ihnen heute? Was denken sie über unsere Zeit? Was verbinden sie mit dem Wort Luxus? Hat das Wort Krieg im Laufe der Zeit eine andere Bedeutung für sie bekommen? Es sind doch die kleinen Lebensgeschichten, die uns Geschichte verstehen helfen.“

Adelheid Schardt suchte über die Sozialverbände in Ost und West, über die Zeitzeugenbörse und auf der Straße. Sie fand neunzehn Frauen und Männer, die bereit waren, ihre Fragen zu beantworten. „Auch das hatte ich vorher nicht gewusst“, sagt sie. „Es gab Männer, die Trümmerarbeit geleistet haben. Allerdings nur im Osten.“

Mit dem Fotograf Gunter Klötzer und der Designerin Dorothee Hübner entstand die Dokumentation „Immer DA! Trümmerfrauen und Aufbauhelfer. Einst & Heute“, die seit gestern beim Berliner Unterwelten e. V. zu sehen ist. Die neue Dauerausstellung im Luftschutzbunker Gesundbrunnen versammelt neun Porträts: ganz normale, unauffällige Lebenslinien, die von einem Ensemble aus Schiebkarren, Schutt und Steinen sowie dokumentarischen Bildern des zerstörten Berlins umgeben sind. Fotos zeigen junge Frauen beim Trümmerräumen und alte Frauen in ihren Wohnungen heute, auf Blättern daneben kommen sie zu Wort – in klugen, alltagspraktischen Reflexionen über die Nachkriegszeit, über die Gegenwart. Keine der Frauen hat Karriere gemacht. Keine hat sich gegen die Nazis oder das stalinistische Regime zur Wehr gesetzt. Aus Angst, geben die meisten zu.

Als sie die Ausstellung konzipierte, dachte Adelheid Schardt sofort an die Räume von Berliner Unterwelten e. V.: „Die Idee passte gut in unser Konzept“, sagt Dietmar Arnold, Erster Vorsitzender des Vereins. „Wir haben ja schon die Trümmerlore hier unten stehen und viel Kriegsschrott gesammelt. Da fanden wir es spannend zu zeigen, wer die Trümmerarbeiten eigentlich durchgezogen hat.“

Die kleinen Lebensgeschichten helfen, Geschichte zu verstehen

Leider können die Exponate nicht alle Geschichten erzählen, die Adelheid Schardt bei ihrer Recherche gehört hat. Aber das Thema ist für die 56-jährige Ausstellungsmacherin sowieso noch nicht erschöpft. Sie würde gern weiter daran arbeiten, eine Dokumentation als Buch herausgeben, Seminare mit den Zeitzeuginnen organisieren, Referate halten. Über den irritierenden Aufdruck „Made in Hongkong“ etwa, der auf einer aufbewahrten Trümmerschürze etwas über die unterschiedliche Entwicklung in den beiden deutschen Staaten erzählt. „Zuerst dachten wir, die Frau, die uns die Schürze zur Verfügung gestellt hat, hätte sich geirrt, es könne sich nicht um eine Trümmerschürze handeln“, erzählt Dorothee Hübner, die Gestalterin der Ausstellung. „Dann erfuhren wir, dass solche Schürzen von Freunden und Verwandten in den späten Fünfziger- bzw. frühen Sechzigerjahren aus dem Westen in den Osten geschickt wurden, wo das Aufbauwerk noch viel länger dauerte.“

Im Westen hatten nach der Gründung der beiden deutschen Staaten längst private Firmen den Wiederaufbau übernommen. Sie zahlten 78 Pfennig die Stunde. Im Osten gab es zu Beginn der Sechzigerjahre noch Lebensmittelkarten. Die Trümmerarbeit wurde in der Freizeit getan. „Das mag der Grund sein“, sagt Adelheid Schardt, „warum sich wesentlich mehr Leute aus dem Osten auf meine Annonce meldeten, darunter eben auch die Männer. Im Osten war diese Arbeit identitätsstiftend und unabhängig vom gesellschaftlichen Status.“

Ein Mann kommt in der Ausstellung zu Wort, ganz repräsentativ für das Verhältnis Männer/Frauen bei der Trümmerarbeit. Da ist aber auch ein Unbehagen, angesichts der Tatsache, dass dieses totalitäre, unmenschliche System nur dank pflichtbewusster Männer in den Ämtern und braver Frauen auf den Straßen funktionieren konnte. Hat die Achtundsechzigerin Adelheid Schardt nicht auch Wut auf die Frauen gespürt, deren Leben sich so angepasst präsentiert? „Nein“, sagt sie. „Ich bin den Frauen dankbar, dass sie mich mit in ihr Leben genommen haben. Die Ausstellung wertet nicht. Es ist das Porträt einer Generation.“ So könnte es das Verdienst von „Immer DA!“ sein, jene unauffällige Generation, die der Soziologe Helmut Schelsky „die skeptische Generation“ nannte, sichtbar zu machen: als Baustein der deutschen Entwicklung nach dem Krieg.

„Immer DA! Trümmerfrauen und Aufbauhelfer“ ist Teil der Führung 1 der Berliner Unterwelten e. V.; Sa.–Mo. 12, 14 und 16 Uhr, Brunnenstr. 108 a; morgen zur Langen Nacht der Museen geöffnet von 18–2 Uhr; Infos unter:www.berliner-unterwelten.de