die taz vor 16 jahren zum wahlkampf in der ddr
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Gewiß, es reizt, die Schwäche der SED-PDS auszunutzen, zumal um so Wahlkampfpunkte zu machen. Nichts gegen eine kühle Machtpolitik von seiten der Opposition also, zumal eine exemplarische Wahlniederlage der SED nicht nur im Interesse der Opposition liegt, sondern auch im Interesse einer stabilen DDR.

Dennoch ist es erschreckend, wie die Opposition den Beitritt in die Regierung Modrow behandelt: Da wird von Modrow und den SED-Ministern ultimativ verlangt, daß sie die Mitgliedschaft ruhen lassen bzw. daß sie aus der SED austreten. Verbunden mit der deutsch-deutschen Dauerkampagne gegen diese Regierung, gegen ihre Legitimität als Übergangsregierung geraten die Manöver der Opposition in ein fatales Licht. Sie wollen einen Offenbarungseid der Regierung, nur um ihren Eintritt in eine große Koalition zu rechtfertigen. Sie wollen die Unglaubwürdigkeit regierender SED-Funktionäre bewahren und gleichzeitig für ihre Regierungsteilnahme eine Glaubwürdigkeitsgarantie erhalten – eben von genau der Regierung, deren Legitimität bestritten wird.

Wie soll dieses Verfahren anders genannt werden als heuchlerisch, schäbig und erpresserisch. Sind derlei miese Manöver eine Vorwegnahme der künftigen DDR-Innenpolitik? Sie würde sich jedenfalls um keinen Deut von den antidemokratischen Machterhaltungspraktiken der Bonner Parteien unterscheiden. Auf jeden Fall macht das öffentliche Pokern über die Teilnahmebedingungen an der Regierung Modrow die Opposition nicht glaubwürdig.

Es zeigt sich daran das prinzipielle Dilemma der Opposition: Die Verfilzung von SED und Staat läßt sich nicht auflösen, ohne eine Versöhnungsperspektive zu entwickeln. Kann sie Erfolg haben ohne eine Demokratisierung in der SED? Eine Politik, die die SED außen vor läßt, müßte darauf hinauslaufen, alle SED-Mitglieder zu marginalisieren. Aber was für ein demokratischer Aufbruch wäre das dann?

Klaus Hartung, taz, 27. 1. 06