Welle aufwärts

Heimat Indischer Ozean: In Südafrika können obdachlose Jugendliche in eine bessere Zukunft surfen. Oder es zumindest versuchen

VON MEY DUDIN

Victor Ngemas neues Leben begann vor fünf Jahren. Der Straßenjunge wusch täglich Autos am Strand der südafrikanischen Surfmetropole Durban, als er Allan Wallace traf. Der Surflehrer kam auf dem Weg zur Arbeit häufig vorbei, um seinen Wagen reinigen zu lassen. Eines Tages fragte er den Obdachlosen, ob er surfen lernen wolle. Victor sagte „ja“. Heute ist das ehemalige Straßenkind 24 Jahre alt, Surflehrer, Kajakführer und Rettungsschwimmer. „Surfen ist meine Zukunft“, sagt der Südafrikaner. In Wallaces Unternehmen „uShaka Surf and Adventures“ am Indischen Ozean nimmt er inzwischen einen festen Platz ein.

Victors Kindheit war im Alter von zehn Jahren schlagartig vorüber, als seine Mutter starb. Mit ihr lebte er in der Stadt Vryheid, seinem Vater ist er nie begegnet. „Da meine Mutter adoptiert war, hat mich ihre Familie nie als Angehörigen betrachtet“, erinnert sich der 24-Jährige. „Sie mochten mich nicht. Kurz nach ihrem Tod landete ich auf der Straße.“ Er ging nach Durban, wo Drogen, Kriminalität und Elend seinen Alltag bestimmten. Das alles ließ er hinter sich, als er mit dem Surfen begann. „Jetzt rauche ich noch nicht einmal mehr“, unterstreicht der passionierte Wellenreiter.

Eine Wendung in seinem Leben erhofft sich auch Surfschüler Bangani Matte aus Lesotho. Seit dem Tod seiner Eltern vor zwei Jahren lebt er in Durban auf der Straße. „Anfang 2005 beobachtete ich einen Rettungsschwimmer, der Kindern das Schwimmen beibrachte“, erinnert er sich. Bangani fragte, ob er und seine Freunde an dem Kurs teilnehmen dürften. Der Rettungsschwimmer hatte nichts dagegen. „Später brachte er uns sogar zu Allan, der uns das Surfen lehrte“, sagt er. Von fünfzehn Straßenkindern sind vier der Surfschule am uShaka Beach treu geblieben. Bangani, der eine Ausbildung zum Surflehrer anstrebt, ist inzwischen Kajakführer. „Seine drei Freunde werden in Kürze ebenfalls einen entsprechenden Kurs absolvieren“, kündigt Allan an. Noch sind die Jugendlichen ohne feste Bleibe, aber das könnte sich bald ändern. „Ab Dezember werden sie ein eigenes kleines Unternehmen haben.“

In Kooperation mit der Surfschule wollen die Jugendlichen Fahrten auf einem Hawaii-Kanu anbieten. „Wir stellen das Boot und übernehmen die Vermarktung, sie organisieren die Touren.“ Wenn das Vorhaben gut anläuft, sollen auch andere Straßenkinder eingebunden werden. „Leider sind nicht alle so motiviert wie Victor oder Bangani“, gibt Allan zu bedenken und fügt hinzu: „Manche wollen sich gar nichts ändern.“

Victor gibt seine Kenntnisse indes auch kostenlos an Straßenkids und Kinder aus sozial schwachen Familien weiter: „Surfen bringt ihnen Spaß und lässt sie den Alltag für eine Weile vergessen“, weiß Victor. „Ich möchte ihnen auch zeigen, dass Surfen kein rein ‚weißer‘ Sport ist.“ Nach dem Spaß in den Wellen kommt für die Straßenkinder allerdings oftmals das böse Erwachen. „Für sie ist es sehr schwierig, nach dieser Auszeit wieder mit ihrer Realität klar zu kommen“, bedauert Victor.

Seinen Lebensunterhalt bestreitet der 24-Jährige mit Kursen für Touristen. „Einem Mädchen aus Slowenien konnte ich die Angst vor dem Wasser nehmen.“ In einem Schreiben, das in der Surfschule aushängt, zeigt sich die Nachwuchssurferin dankbar. Ein Foto von sich, ihren Eltern und dem Südafrikaner beschriftete sie mit den Worten: „Victor und seine neue Familie.“

MEY DUDIN ist derzeit ddp- Korrespondentin und lebt in Berlin