„Das Pionierstadium ist lange überschritten“

URBAN GARDENING Wird der Palettengarten zum Businessmodell? Andrea von Allwörden sieht einen Trend zur Kommerzialisierung

■ Jahrgang 1966, ist promovierte Gartenbauwissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. in Müncheberg. Sie betreute 2012 das Projekt „Urban Gardening 2.0“.

taz: Am 16. Juni eröffnet das „Himmelbeet“ auf einem Parkhausdach im Wedding. Mit genehmigten Flächen, Pachtbeeten, unterstützt von einem Supermarkt und als gGmbH von festen Mitarbeitern organisiert. Erste Anzeichen einer Professionalisierung?

Andrea von Allwörden: Insgesamt kann man sagen, dass Urban Gardening professioneller wird. Die Szene organisiert sich langsam. Sie möchte ein bisschen Struktur, Organisation und sie möchte sich für Beratung, Leitfäden und Trainings anbieten. Die Szene sucht nach Möglichkeiten, wie der Einzelne auch davon leben kann.

Das Projekt „Himmelbeet“ ist also kein Einzelfall?

Das ist schon ein Trend. Die Gärten stehen auf Dauer vor dem Problem des Selbsterhalts – deswegen organisieren sie sich. Wir haben in Berlin eine Ausnahmesituation: Das Pionierstadium ist schon lange überschritten. Die Szene steht jetzt vor der Frage, wie es weitergeht. Urban Gardening entwickelt sich zu einer Branche, und wie das in jungen Branchen ist, bilden sich verschiedene Ansätze heraus.

Regt sich in der Szene kein Widerstand gegen diese Art von professionellen Strukturen?

Doch, natürlich. Der regt sich in den einzelnen Gärten genauso wie in der Szene insgesamt. Während einige sich Strukturen und Professionalisierung wünschen, steht für andere die Freizeitgestaltung und der gemeinsame Anbau von Obst und Gemüse im Vordergrund.

Wird das Urban Gardening kommerzieller?

Ja. Das ist ja nicht verwerflich. Was spricht dagegen, dass Menschen mit Obst, Gemüse und einer sozialen Dienstleistung Geld verdienen? Wir sind in Deutschland noch nicht so weit, dass wir große Agrarparks auf Dächer setzen. Der Hintergrund ist primär ein sozialer. Und es spricht nichts dagegen, dass aus einem Ehrenamt eine bezahlte Leistung wird. Davon profitiert die Gardening-Bewegung, weil der Gedanke der Gemeinschaft erhalten bleibt und Projekte finanziell abgesichert werden.

Am Anfang der Bewegung stand der Gedanke der Nutzbarmachung und Aneignung von brachliegenden Flächen für die Allgemeinheit. Wird das Urban Gardening durch stark strukturierte Projekte entpolitisiert?

Zum Teil schon. Aber es wird eine breite und bunte Szene geben: nicht mehr nur die ideelle Richtung, sondern auch Projekte, in denen Mitarbeiter bezahlt, in denen Waren und Dienstleistungen produziert werden. Aber die Gemeinschaftsgärten in ihrer Ursprungsform bleiben erhalten. Die Aufwertung ungenutzter Flächen ist für Teile der Szene das Wichtigste – der Gedanke der Allmende bleibt.

INTERVIEW: DANIEL APPEL,
ANDREAS SCHMALTZ