Die Achterbahn-Priesterin

Weiße Pluderhose, Pony, diese Stimme: Janine Rostron aka Planningtorock ist ein Phänomen in der experimentellen Musikszene Berlins. Zurzeit arbeitet sie an ihrem ersten Soloalbum. Ein Porträt

VON LORRAINE HAIST

Ich liege willenlos da, während jemand auf meinen Gefühlen Xylofon spielt: So habe ich mir als Kind einen Ausflug in den Aschram von Poona vorgestellt. Und genau so haben mich bisher jedes Mal die Auftritte der Musikerin, Videokünstlerin, Performerin und Labelmacherin Janine Rostron aka Planningtorock zurückgelassen.

Und tatsächlich hat die Bühnenerscheinung der Exil-Londonerin ein bisschen etwas von Bhagwan: In ein weißes, bauschiges Fantasieensemble aus Pluderhose und -bluse gehüllt, das Gesicht nach Marcel Marceau’schem Vorbild gekalkt, einen spitzen Magierhut aus Pappe über die Kate-Bush-Mähne gestülpt, dazu einen Stab schwenkend, auf dem ein Gehirn aus Plastik thront – so eröffnet Planningtorock seit rund zwei Jahren ihre Shows. In deren Verlauf setzt sie sich noch einige selbst gemachte Fantasiehelme auf, verschmilzt mit ihren auf die Bühne projizierten Videos und wiegt sich in einer Mischung aus HipHop- und Ausdruckstanz rhythmisch von einem nackten Fuß auf den anderen. Wie eine Hippiepriesterin in einem Achtzigerjahrefilm.

Als mir die private Janine Rostron die Tür zu ihrer Wohnung öffnet – gleichzeitig Studio und Büro ihres Labels Rostron Records – bin ich überrascht: ein freundliches, konzentriertes Mädchen, das eine gemäßigte Pluderhosenversion trägt und Tee mit Milch offeriert. Sie ist frisch zurück von ihrer ersten und gleich ausgedehnten Tour durch Europa und Amerika, bei der sie gemeinsam mit ihrer künstlerischen Gefährtin Kevin Blechdom das Vorprogramm der Chicks On Speed bestritten hat. Sie erzählt, dass es immer Frauen sind, die bei ihren Auftritten ganz vorne stehen – Männer hätten sie oft eher als Furcht einflößend wahrgenommen.

Kein Wunder, stellen sich Janine Rostrons Shows doch allem entgegen, was gemeinhin als Erfolgsgarant für weibliche Künstlerinnen gilt: Planningtorock auf der Bühne ist nicht zart und auch nicht verletzlich, mit lolitahaftem Starlet-Dasein hat sie nichts am Hut, aber mit sehr erwachsenem Selbstbewusstsein, mit Humor und Ausdruckskraft. „Sex ist einfach nicht mein Thema auf der Bühne“, sagt sie. „Vielleicht hält man mich deswegen auch für älter, als ich in Wirklichkeit bin: Eine Frau, der es auf der Bühne nur um ihre Musik und nicht um eine sexy Wirkung geht, muss wohl ziemlich alt sein.“

Wie alt Janine Rostron tatsächlich ist, möchte sie nicht verraten – ein alter Bühnenhase ist die mit Ballett und klassischer Musik aufgewachsene Liebhaberin von Kubrick-Soundtracks jedenfalls nicht. Erst vor vier Jahren hat die Absolventin der Sheffield Art School angefangen, Musik in den Vordergrund ihrer künstlerischen Arbeit zu stellen: „Ursprünglich habe ich mit dem Musikmachen nur begonnen, um meine Videos damit zu untermalen. Auf die Idee, wirklich Musikerin zu werden, bin ich erst nicht gekommen – dafür war ich viel zu sehr in die Kunstszene integriert. Bis mich eine Galeristin darauf brachte, dass ich zu meinen Videos live singen könnte. Das habe ich getan – und siehe da, es passte perfekt.“ Inzwischen weiß Janine Rostron genau, wie ihre Performance aussehen und ihre Musik klingen soll. Nach einer ersten EP auf ihrem eigenen Label Rostron Records wird sie deswegen im April ihr erstes Soloalbum bei Chicks On Speed Records veröffentlichen.

Ende 2001 ist sie wegen eines Kunstprojekts nach Berlin gekommen. Die günstigen Mieten und die schnelle Vernetzung mit anderen Musikexilanten wie Kevin Blechdom, Mocky, Taylor Savvy und Jamie Lidell haben dazu geführt, dass sie hängen geblieben ist. Da, in Kreuzberg, wo auch die meisten anderen aus der internationalen Berliner Bohème-Clique leben, arbeiten, sich gegenseitig inspirieren und ausgehen – ins 103, ins Barbie Deinhoff’s oder in die Ankerklause – weil die auch tagsüber schon offen hat.

Mit ihrem in Berlin gegründeten Label Rostron Records kümmert sich Janine Rostron verstärkt um die Pflege dieses Netzwerks: „Die Label-Arbeit hat bei mir viele Schranken zum Einsturz gebracht. Ich habe einfach alles ‚by doing‘ gelernt und dafür viel Respekt bekommen. Das möchte ich zurückgeben“, sagt Janine Rostron. Bald wird auf Rostron Records eine A-cappella-Platte mit Kevin Blechdom erscheinen, dann eine von ihrer Yes-Coverband, in der sie gemeinsam mit Taylor Savvy spielt.

Ihr Soloalbum hat sie in ihrem mit Zetteln zugekleisterten Wohnzimmer-Studio-Büro eingespielt und produziert. Das verfügt nicht nur über eine selbst gebastelte Gesangskabine, es beherbergt auch sonst alles, was man fürs Homerecording einer abseitigen Elektroplatte braucht: Vierspurgerät, Mischpult, Powerbook, zwei Keyboards für Streicher- und Pianosounds, eine Querflöte und eine Handvoll sonstiger analoger Schlag- und Plingplang-Instrumente. Das wichtigste Instrument für Janine Rostron aber ist ihre Stimme: „Meine Songs entstehen fast immer mit einer Gesangsidee – auch die Beats erzeuge ich oft nicht mit Instrumenten, sondern mit meiner Stimme.“ Janine Rostron versteht sich als Technikerin ihrer Musik: Völlige Eigenregie ist ihr Credo – Taylor Savvy und Mocky haben nur ein paar Schlagzeug- und Bassparts geliefert.

Die vorab bereits erschienene Single lässt ahnen, was einen auf dem Album erwartet – Rock ist es jedenfalls nicht. Von „Changes“, Veränderungen, singt sie da, und dass sie kriegen wird, was sie braucht. Ihre mehrfach gefilterte Stimme fährt Achterbahn, erinnert manchmal an Diamanda Galas, manchmal an Minnie Maus. Dazu peitscht sich ein ostinates Streicherorchester zu stampfenden Uptempo-Beats durch eine lustige Neighborhood aus Neuer und Alter Musik, HipHop, New Wave und ProgRock. Das klingt mal wild, mal plötzlich sanft-atmosphärisch – und immer auch irgendwie gefährlich – vielleicht führt einen Planningtorock nämlich an der Nase herum.

Hört sich nach experimenteller Musik an? Ist es auch – aber rund und herrlich und ganz intensiv. „Ich sehe mich als Gesamtkünstlerin, meine Sachen sollen aus einem Guss sein“, sagt Janine Rostron. Wie sie das sagt, klingt es nach einer guten Mischung aus Ehrgeiz und Angekommensein. Dem ollen Bhagwan hätte Janine Rostron sicher auch gut gefallen.

Janine Rostrons Album „Planningtorock“ erscheint im April bei Chicks On Speed Records.Tourneetermine stehen für Mai und Juni an