MICHAEL STRECK über BACK HOME
: Bitte kein Dating!

Ein guter Grund für die Heimkehr: Flirten ist in Amerika nicht vorgesehen

Neulich fragte mich jemand, warum ich eigentlich nach Berlin zurückgekehrt bin. Ich überlegte. Bei Licht betrachtet gibt es keine wirklich guten Gründe.

Das Wetter ist schlechter. Die Autofahrer aggressiver. Das Risiko seltener. Einwanderer ausgeschlossener. Frauen ungleichberechtigter. Der Dollar schwächer. Und die FDP angriffslustiger als die Grünen. Die Kabelfirma braucht überdies Monate, um die Internetverbindung anzuschließen. Der Arbeitsmarkt ist so aussichtslos, dass Jobs mittlerweile im Radio vermittelt werden, wo sich Menschen in jämmerlichen Selbstwerbebotschaften anpreisen, die sie nun endgültig zu Hartz-IV- Empfängern machen. RTL2 braucht ein Jahr, um die TV-Serie „24“ zu synchronisieren. Und der Bürgermeister sieht seine Berufung nicht darin, den müden Standort durch kluge Wirtschaftspolitik auf Trab zu bringen, sondern vor allem ein toller Partyhengst zu sein.

Ich überlegte noch mal. Doch, es gibt einige überzeugende Gründe. Das Essen, vor allem Wurst, ist schmackhafter. Einkaufen preiswerter. Häuser solider. Benzin teurer. Humor tiefgründiger. Die Hemden sind passender. Partys unberechenbarer. Kinder freiluftverspielter. Menschen neugieriger. Und: Frauen und Männer sind irgendwie erwachsener.

Okay, das muss ich jetzt erklären. Ein Single-Mann kann hierzulande mit einer verheirateten Frau aus der gleichen Firma ein Bier trinken gehen. Kein Problem. Drüben würde mann schief angeguckt und es wohl auch eher sein lassen. Zu viele Hintergedanken. Oder: Auch nach dem vierten gemeinsamen Kinobesuch mit einer Dame ohne klare Signale, im Bett landen zu wollen, riskiert ein Mann bei uns nicht, gleich als schwul abgestempelt zu werden. Oder: Eine Frau, die Männer anspricht, selbst an liberalen Akademikerhochburgen in Kalifornien, kann schnell ihren guten Ruf verlieren.

In den USA folgt das Geschlechterverhältnis klareren Ritualen und Regeln. Für Unverheiratete heißt es Dating, also einen Termin ausmachen, was den strukturierten Ablauf der Begegnung verdeutlicht. Für Verheiratete oder Verlobte haben sich Nicht-Paar-Aktivitäten ohnehin erledigt. Grillen im Garten bitte nur noch mit Anhang und anderen Paaren. Ansonsten darf sich Mrs Miller natürlich auch mit ihren Freundinnen zum Tee treffen.

Dating ist ein zielgerichteter Vorgang, ein Highway als Einbahnstraße. Man könnte meinen, die Beziehungen zwischen Mann und Frau sind ökonomisierter. Es soll keine Zeit verschwendet werden bei der Partnersuche. Schnell sollen beide herausfinden, woran sie sind. Der festere Rahmen ist vielleicht aber auch nur ein weiteres Resultat der Einwanderungsgesellschaft, der einem Grönlandmann und einer Malifrau erlauben soll, sich zu paaren.

In Deutschland hingegen wird geflirtet. Flirten darf jeder mit jedem, egal in welcher Beziehungsform mensch steckt. Flirten ist Kreisverkehr, Landstraße mit Tempolimit, Autobahn mit vielen Abfahrten und Halten im Parkverbot.

Es bedeutet für jene, die auf der Jagd sind, sich im Zickzack bewegen, Pirouetten drehen, Treffen mit unkalkulierbarem Ausgang, unsichere Investition von Zeit, Geld und Energie, kurzum: ein offenes Spiel. Und für jene, die bereits in festen Händen sind, bedeutet es eine vergnügliche Zerstreuung.

Dass Flirten bei uns so funktioniert, hat möglicherweise auch mit unserem abgeklärteren Verhältnis zum Sex zu tun. Die USA sind, dank einer mächtigen puritanischen Strömung, eine viel sexualisiertere Gesellschaft, wo eine öffentlich gezeigte Brustwarze tagelang für Aufregung sorgen kann. Dating ist dort Turbosex und Tabu in einem. Dazwischen gibt es wenig Raum zum Beschnuppern.

Nun erobert Dating offenbar auch unseren deutschen Sprachgebrauch.

Es gibt Dating online, Dating-Agenturen, Dating im Vorabend-TV und so weiter. Bleibt zu hoffen, dass es sich hierbei um eine der vielen schadlosen sprachlichen Übernahmen handelt wie „Coffee to go“, „Call Center“ und „Event“, wo etwas amerikanisches draufsteht, aber nicht notwendigerweise drinsteckt.

Vor mir aus kann gecancelt, gedownloadet und geemailt werden. Aber wenn ich höre, dass jemand gedatet hat, wandere ich wieder aus.

Fotohinweis:MICHAEL STRECK BACK HOME Fragen zu Brustwarzen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN