Schmutziges Erbe ans Licht geholt

AUS KEMPEN GESA SCHÖLGENS

Große vereiste Wasserlachen, umrahmt von Stacheldraht, braunen Grasbüscheln und hart gefrorener, nackter Erde, auf der Lastwagen ihre Reifenspuren hinterlassen haben. Die einzigen Farbtupfer sind zwei umgekippte gelbe Blechtonnen. Nicht sichtbar ist, dass das Gelände der ehemaligen Elektrochemischen Fabrik Kempen (ECF) bis vor kurzem mit giftigen Chemikalien verseucht war. Das Grundwasser ist es immer noch.

Das soll sich ab jetzt ändern. Auf dem 45.000 Quadratmeter großen Gelände in der Kleinstadt am Niederrhein steht an diesem kalten Januartag ein kleines, weißes und gut beheiztes Festzelt. Der Altlastensanierungsverband NRW (AAV) feiert den Abschluss der Bodensanierung und beginnt mit der Reinigung des Grundwassers. Auch NRW-Umweltminister Eckard Uhlenberg (CDU) ist angereist, um den Hebel der Wassersanierungsanlage umzulegen. Aber zuerst halten der Minister, der Landrat, der AAV-Vorsitzende und der Kempener Bürgermeister ihre Ansprachen. „160.000 Tonnen Boden und Abfälle wurden bei der Sanierung bewegt“, freut sich Kempens Bürgermeister Karl Hensel, der lange für die Unterstützung von Land und AAV gekämpft hat. Anschließend folgt eine kurze Präsentation auf einer Leinwand. Eine freundliche Männerstimme und bunte Bilder informieren über die kriminelle Vergangenheit der ECF.

Die ehemalige Fabrik stellte bis zur Insolvenz im Jahre 1985 verschiedene Produkte aus Rest- und Abfallstoffen her, unter anderem wurde Eiweißleim aus Lederresten gewonnen. Was kaum einer ahnte: Die Abfälle aus der Produktion wurden Jahrzehnte lang auf dem Gelände vergraben. Chrom belastete Rückstände, Tenside und Lösungsmittel sickerten in den Boden. Tonnenweise vergammelnde Lederreste waren in den Halden zu kleinen Bergen aufgeschichtet und verbreiteten einen üblen Geruch nach Fäkalien und faulen Eiern. Mit diesem Gestank mussten die Belegschaften benachbarter Unternehmen und auch die Anwohner über viele Jahre leben.

Nachdem der letzte Redner verstummt ist, dürfen die Gäste die Grundwassersanierungsanlage begutachten. Sie befindet sich in einer kalten, feucht riechenden Halle mit Betonfußboden hinter dem Festzelt. Fünf Meter hohe, blaue Metalltürme ragen fast bis zur Decke. Darin wird das hoch gepumpte Wasser mikrobiologisch und mit Aktivkohlefiltern vorgereinigt. „In zwei bis fünf Jahren ist die Sanierung abgeschlossen“, glaubt AAV-Projektleiter Ernst-Werner Hoffmann. Doch schon vorher könne das sanierte Gelände wieder bebaut werden.

Kontaminierter Dreck

Umweltminister Uhlenberg legt im Blitzlichtgewitter der Lokalpresse einen Schalter um. Ein lang gezogenes, monotones Piepen ertönt, die Maschinen laufen an. Projektleiter Hoffmann steigt vor den neugierigen Besuchern eine Leiter hoch und öffnet eine Klappe am Behälter. Drinnen rauscht kaltes, grau-schwarzes Wasser. Zehn Kubikmeter pro Stunde werden aus den extra angelegten, 20 Meter tiefen Brunnen auf dem Gelände hoch gepumpt, erzählt Geologe Hoffmann. Dabei ist der personelle Aufwand gering. Zwei, drei Mal die Woche wird ein Techniker vorbei kommen, um die Einstellungen zu optimieren.

Im Vergleich zur Bodensanierung ist das ein Klacks. Anderthalb Jahre lang waren täglich bis zu 40 LKW im Einsatz, dazu Bagger, Raupen und Nebelsprühanlagen, um den Gestank der abgelagerten Produktionsrückstände zu neutralisieren. „Die Lastwagen fuhren im Viertelstundentakt vorbei“, erinnert sich einer der benachbarten Unternehmer aus dem Kempener Gewerbegebiet. Gestunken habe es zum Glück nicht besonders.

Alle Fahrzeuge, die das Gelände verließen, mussten durch eine Reinigungsschleuse fahren, damit ja kein kontaminierter Dreck an den Reifen kleben blieb. Befürchtet wurde, dass sich Sporen des Milzbranderregers in den Lederresten befinden könnten. Diese können sich nämlich in vergammeltem Leder bilden. „Der Verdacht hat sich nach umfangreichen Untersuchungen nicht bestätigt“, sagt Projektleiter Hoffmann. Die Kempener sind erleichtert. „Wir sind froh, dass die Geschichte erstmal zu Ende ist“, sagt Bernd Faber, Geschäftsführer des Bürgervereins in der naheliegenden Siedlung „Hagelkreuz“. Er lobt den offenen Umgang aller Beteiligten. „Die Bürger sind von Anfang an informiert und an allen Entscheidungen beteiligt worden“. Faber kann nachvollziehen, dass sich der Sanierungsprozess so lange hingezogen hat. Die Fabrik habe bis zur Insolvenz Jahre lang Druck auf die Stadt ausgeübt und ein Geschäft mit der Angst vor dem Verlust der 300 Arbeitsplätze gemacht. „Der viele Ärger und das viele Geld haben sich aber gelohnt“, sagt Bernd Faber. Ein Teil des sanierten Grundstücks wurde bereits an eine Druckerei verkauft, die dort inzwischen eine Produktionshalle errichtet hat. Auch für den Rest des Kempener Geländes gibt es bereits Interessenten.

„EU kann von uns lernen“

Insgesamt kostet die Sanierung rund 15,6 Millionen Euro. „Normalerweise muss derjenige zahlen, der die Schäden verursacht hat“, sagt AAV-Geschäftsführer Gerhard Kmoch. Da die ECF bereits seit Jahren nicht mehr existiert, ist in diesem Fall die Stadt, unterstützt von AAV und Land, in der Pflicht. „Unsere Mittel werden immer knapper“, so Kmoch. Zwar drehe die Wirtschaft den Geldhahn zu, dennoch sei die Altlastensanierung in NRW perfekt geregelt und auf einem hohen Stand. „Die EU kann von uns lernen“, ist Kmoch überzeugt. Im Ruhrgebiet seien neben der ehemaligen Kohle- und Stahlindustrie auch die ehemaligen chemischen Reinigungsfirmen das größte Problem. „Früher wurden Chemikalien wie Chlor oder Ethylen einfach in den Ausguss geschüttet“, so AAV-Geschäftsführer Kmoch. Sie gelangten in den Untergrund und wurden häufig erst dann entdeckt, wenn dort Baumaßnahmen durchgeführt werden sollten.

Die Feier ist inzwischen fast vorbei. Während sich die Prominenz im Zelt nach dem Kaffee noch über Würstchen und Schnitzel hermacht, ist es draußen kälter geworden. Auf dem ehemaligen ECF-Gelände fahren zwei Kinder Kettcar auf den zugefrorenen Wasserlachen. Noch ist dort ja viel Platz zum Spielen.