„Herr Mehdorn ist ein Profi, da habe ich keinen Zweifel“

CHEFSACHE Es gab schon bessere Tage für Klaus Wowereit. Trotzdem schließt der Regierende Bürgermeister eine weitere Amtszeit nicht aus. Ein Gespräch über Alpha-Typen, Visionen und Schokolade

INTERVIEW S. ALBERTI
, A. LANG-LENDORFF
UND K. LITSCHKO

taz: Herr Wowereit, wir sitzen an einem 3. Juni hier zusammen. Erinnert Sie das an etwas?

Klaus Wowereit: Das reine Datum sagt mir erst mal nichts.

Vielleicht ist das natürliche Verdrängung: Der Flughafen BER hätte vor genau einem Jahr eröffnen sollen. Der schwärzeste Tag Ihrer Karriere?

Einer der unerfreulichsten Tage. Aber das Datum, das mir dazu in Erinnerung ist, ist der 8. Mai.

Der Tag der Absage?

Genau.

Klaus Harpprecht, Weggefährte von Willy Brandt, hat in der taz gefordert, den Namen des Flughafens zu ändern. Dass er nach Brandt heiße, beflecke das Ansehen des Exkanzlers.

Das ist doch Unsinn. Niemand wird die großen Verdienste Willy Brandts, die durch die Namensgebung gewürdigt werden sollen, mit den Bauverzögerungen in Verbindung bringen.

Wowereit und die Berliner, das schien immer eins. Doch mit der BER-Panne sind Ihre Beliebtheitswerte in Umfragen abgestürzt. Ist da eine Beziehung in die Krise geraten?

Wenn der Flughafen auch heute noch das dominierende Thema in der Stadt ist und es eine breite Unzufriedenheit gibt, dann deckt sich das doch auch mit meiner Unzufriedenheit. Insofern kann ich nachvollziehen, dass die Bürger dem Ausdruck verleihen, zum Beispiel in Meinungsumfragen.

Die Leute sind nicht distanzierter?

Nein.

Die Pannen müssen Sie aber doch treffen – der Flughafen ist ein Prestigeprojekt von Ihnen.

So eine Beschreibung für das wichtigste Infrastrukturprojekt Ostdeutschlands ist völlig unzutreffend. Der Flughafen ist keine Frage von Prestige, das ist ein knallharter Wirtschaftsfaktor für die Region.

Nach der vierten Verschiebung sind Sie in sich gegangen und haben überlegt, ob Sie als Regierender weitermachen. Wie nah waren Sie dran am Rücktritt?

Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass man in so einer Situation für sich selbst eine Überprüfung vornimmt. Die hat zu dem Ergebnis geführt, dass ich nicht die Brocken hinschmeiße, sondern kämpfe.

Mit wem reden Sie in solchen Momenten?

Das ist nichts für die Öffentlichkeit.

Womit haben Sie den Druck kompensiert? Haben Sie angefangen zu rauchen?

Nein, immer noch nicht.

Mehr Schokolade für die Nerven?

Auch das nicht. Sonst noch Vorschläge?

Nein, aber die nächste Frage: Herr Mehdorn und Sie sind ja nicht als Freunde bekannt. Jetzt soll ausgerechnet er Ihnen als BER-Chef das Projekt retten.

Ihre Kategorisierung entspricht nicht der Realität.

Was ist denn Realität zwischen Ihnen und Herrn Mehdorn?

Es geht hier um Professionalität, nicht um Freundschaft. Ich wähle mir meine Freunde nicht im politischen oder geschäftlichen Umgang. Es kann passieren, dass darüber mal eine Freundschaft entsteht, aber das ist für die Zusammenarbeit kein Kriterium. Herr Mehdorn ist Profi, da habe ich keine Zweifel.

Wie professionell ist es, wenn Herr Mehdorn seine Ideen unabgesprochen nach außen trägt, etwa Tegel als Flughafenstandort offenzuhalten?

Diese Äußerung gleich am ersten Arbeitstag war sicher nicht hilfreich, weil sie eine Debatte angestoßen hat, die schon längst beendet war. Aber ich kann auch keinem Vorstand bei der Lösungssuche ein Denkverbot auferlegen, solange die Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Als im Herbst Horst Amann als Technikchef kam, hieß es auch: Der ist ein Profi, ein echter Macher. Jetzt sind da zwei Alpha-Typen in einem Vorstand. Wie lange geht das gut?

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Kämpfernaturen im Geschäftsleben versuchen müssen, ihre Stärken zu kombinieren. Das erwarte ich von einem professionellen Management. Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat nun zu erläutern, wie wir den Flughafen zum Fliegen bringen. Nebenkriegsschauplätze helfen da nicht weiter.

Sie würden an Herrn Amann festhalten?

Wir haben die dreiköpfige Geschäftsführung gerade erst komplettiert.

Allein der jüngste BER-Nachschlag hat Berlin über 440 Millionen gekostet. Wie können Sie sich da etwa bei einem Seniorenzentrum hinstellen und glaubwürdig sagen: Die nötigen 50.000 Euro für euch haben wir nicht, ihr müsst schließen?

Die bisherigen Kostensteigerungen beim Flughafen sind zum überwiegenden Teil unabhängig vom späteren Eröffnungstermin. Das gilt auch für die 440 Millionen. Allein die Hälfte des Nachschlags geht in zusätzlichen Lärmschutz, ein anderer großer Teil in zusätzliche Baumaßnahmen, mit denen auch die Kapazität erweitert wurde.

Und das überzeugt die Senioren, deren Treff dichtmacht?

Natürlich müsste man in einem solchen Fall erklären, dass beides nichts miteinander zu tun hat. Und das tue ich auch.

Im September ist Bundestagswahl, und wenn es für die Berliner SPD schlecht läuft, werden manche sagen: Da ist der Wowereit mit seinem BER schuld.

Vor der Wahl gilt wie nach der Wahl: Es gibt immer eine gemeinsame Verantwortung. Wer glaubt, einem anderen etwas in die Schuhe schieben zu können, wird keinen Erfolg haben.

Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen kämpfen, deshalb seien Sie im Amt geblieben. Wofür eigentlich nach 12 Jahren im Amt? Was bleibt noch an Visionen?

Die Stadt zu gestalten: Berlin ist weit vorangekommen auf dem Weg zu einer internationalen, weltoffenen Metropole. Darum geht es auch weiterhin. Trotz aller Zensus-Ergebnisse wächst Berlin – jährlich um 40.000 Menschen.

Was ist die zentrale Aufgabe?

Immer wieder zu fragen: Wie kann sich die Stadt so aufstellen, dass Lebensraum für alle da ist? Wir wollen, dass die soziale Mischung erhalten bleibt, die Berlin als Großstadt so einzigartig macht.

Womit wir beim Thema Mieten sind. Vor der Berlin-Wahl 2011 haben Sie uns gesagt: „Die Veränderung von Kiezen ist kein Teufelszeug.“ Sehen Sie das weiter so?

Die Aussage bleibt. Wer meint, eine Käseglocke über Kieze oder die ganze Stadt stülpen zu können, der wird die Entwicklung der Stadt nicht voranbringen. Dazu machen wir doch Kiezmanagement, damit sich die Sozialstruktur positiv verändert.

Das heißt konkret?

Es ist gut, wenn ein Kiez nicht nur geprägt ist von Empfängern von Transfergeldern wie Hartz IV oder anderer staatlicher Unterstützung, sondern wenn da nun auch Menschen mit eigenem Einkommen hinkommen. Das ist keine Bedrohung, sondern eine Verbesserung. Wir wollen nicht die Entwicklung wie in anderen Großstädten, wo der Innenstadtkern so teuer wird, dass Menschen zwangsweise umziehen müssen und an den Stadtrand gedrängt werden.

Aber wenn man einen Kiez durchmischt, müssen doch von denen, die da sind, zwangsläufig welche weg. Sonst ist ja kein Platz für die Zuzügler mit eigenem Einkommen.

Im Gegenteil. Wir versuchen ja, die Leute, die da wohnen, in Arbeit zu bringen, das vernachlässigen Sie dabei ganz.

In Berlin leben rund 200.000 Langzeitarbeitslose, bei denen das seit Jahren nicht gut klappt.

Wir geben diese Menschen trotzdem nicht auf.

Das ist ja schön, aber …

Das ist nicht nur schön, das ist unsere soziale Verantwortung.

Beispiel Schillerkiez: Der ist durch die Flughafenschließung zu einer angesagten Gegend geworden – auf Kosten derer, die vorher da wohnten und die neuen Mieten nicht mehr zahlen können.

Was wäre denn die Alternative? Soll es jetzt im Schillerkiez einen Zuzugsstopp für Doppelverdiener geben? Das geht schon vom Mietrecht her gar nicht. Im Kern geht es doch darum, den Wandel positiv zu gestalten. Wer sich immer nur dem Wandel widersetzt, kann ihn nicht gestalten.

Sie sind nun zwölf Jahre Regierender Bürgermeister, auf Dauer kann das nicht so bleiben …

Wer weiß?

Heißt das, 2016 ist nicht Schluss?

Was Sie daraus lesen, weiß ich nicht. Die Legislaturperiode geht bis 2016, bis dahin bin ich gewählt, und alles andere wird sich zeigen.

Bis 2016 halten Sie aber auf jeden Fall durch?

Ich habe dazu alles gesagt.

Was sind denn die zentralen Eigenschaften, die ein Regierender Bürgermeister braucht?

Auf jeden Fall viel Erfahrung und ein dickes Fell. Aber auch dieses Amt war unterschiedlich geprägt von den Persönlichkeiten, die es ausgeübt haben.

Haben die beiden als Nachfolger Gehandelten, SPD-Chef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh, diese Eigenschaften?

Nochmals: Wir diskutieren alles zu seinem Zeitpunkt.

Bei Raed Saleh bemängeln manche Genossen, dass er nicht immer korrekt spricht. Wäre Berlin bereit für einen Regierenden, der grammatikalisch manchmal danebenliegt?

So eine Frage, ausgerechnet von der taz? Ich wüsste schon mal nicht, dass irgendwo festgeschrieben ist, welche grammatikalischen Zensuren Voraussetzung sind, um Regierender Bürgermeister werden zu dürfen. Aber ich empfinde es obendrein als Diskriminierung, wenn bei jemandem mit Migrationshintergrund nach grammatikalischen Fehlern gesucht wird. So eine Denkart sollten wir in Berlin tunlichst hinter uns lassen.

Was halten Sie davon, wenn die Berliner SPD ihren Spitzenkandidaten per Mitgliederbefragung bestimmen würde?

Das sind alles Fragen, die ins Leere gehen.

Wieso? Der Ruf nach mehr Beteiligung an Bau- und Planverfahren wird immer lauter. Da liegt es doch nahe, wenn auch die SPD ihren Kandidaten nicht von ein paar Delegierten, sondern von der Basis küren lässt.

Da müssen Sie den Parteivorsitzenden fragen, nicht den Regierenden Bürgermeister.

Als Linker, der Sie mal waren, hätten wir da ein klareres Bekenntnis zur Basis- und Bürgerbeteiligung erwartet.

Der Regierende Bürgermeister hat natürlich dauernd mit Bürgerbeteiligung zu tun und begrüßt das auch.

Heute regieren Sie mit der CDU. Sind Sie denn noch ein Linker?

Die SPD ist insgesamt eine linke Partei, und mit meinem persönlichen politischen Standpunkt war ich nie am rechten Rand der SPD, immer Mitte-links. Insofern würde ich mich schon als linken Politiker bezeichnen.

Kein Ministerpräsident ist länger im Amt als Sie. Sie reizt nichts anderes?

Sie können sicher sein, Berlin reizt mich immer.