Schnell, bevor es überall tiefe Nacht wird

Diese Woche haben uns die Profis gezeigt, womit sie sich tagein, tagaus beschäftigen. Nicht mit Politik und nicht mit Aufklärung: Dethematisierung heißt ihr Kerngeschäft. Das meint: Niemals über Zusammenhänge reden, sondern über alles andere.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière und der hochangesehene TV-Journalistenclown Ulrich Deppendorf sind Meister dieser Zunft. Sie sind entgrenzt inkompetent, aber keineswegs nur doof, sie sind Fachopportunisten, sie machen die Welt jeden Tag ein winziges bisschen schlechter, und das auf eine Weise, die ihrer Chuzpe verhohlenen Applaus einbringt.

Und jetzt das Beispiel:

Am Mittwoch war Stichtag im Drohnendebakel, der Minister musste ARD und ZDF Rede und Antwort stehen. Folgendes wollten die JournalistInnen zur Primetime wissen: „Sind Sie in Ihrem Ministerium noch Koch oder eher der Kellner?“ O-Ton Deppendorf. Die mit einem kleinen Lachen versehene Antwort: „Ich bin der Minister.“ Keine weitere Nachfrage. Keine konkrete Frage überhaupt dazu, wie der Minister zukünftig solche Steuerverschwendungen vermeiden wolle; seine Absichtserklärung reichte aus. Was die politische Begründung für die gigantischen Rüstungsausgaben und auch für die umstrittene Waffengattung der Drohne sei? Egal. Der Minister darf die vom Staatssekretär getroffene Entscheidung, das Drohnending abzublasen, als eigenen Erfolg verkaufen. Auch die Printmedien engagieren sich da nicht sonderlich. Sie sind mit der Flut und den Ereignissen in der Türkei ausgelastet.

Auch die Oberen in der Türkei beherrschen das Business der Dethematisierung, was den internationalen, auch den deutschen Medien durchaus auffällt. Ist ja Ausland. Da kann man Kritik üben. Der allgemeine Popularitätsverlust beeindruckt den türkischen Premier aber leider gar nicht.

Während die Wasserwerfer weiter durch türkische Städte rollen, reiste Erdogan Anfang der Woche erst einmal nach Algerien, um dort so wichtige Dinge zu tun, wie die Ehrendoktorwürde für seine „Verdienste für die Menschheit“ entgegenzunehmen. Etwas später entschuldigte er sich für das verspritzte Gas, um dann von Terroristen zu reden, welche die alkoholselige Jugend seines Landes zu Protesten verführe. Zuvor hatte er Twitter mit seinen Desinformationen als größte Bedrohung der Gesellschaft ausgemacht. 1.800 Menschen wurden nach offiziellen Angaben bisher inhaftiert, viele werden noch in Turnhallen festgehalten. Dazu muss Erdogan sich nicht verhalten. CNN Türkei zeigte Kochshows, als die Polizei das Zentrum von Istanbul in ein Schlachtfeld verwandelte. Wie Präsident Gül zu Deeskalationszwecken dieser Tage richtig anmerkte, machen freie Wahlen ein Land noch nicht zur Demokratie. Doch auch er scheint die Polizeigewalt nicht eindämmen zu wollen oder zu können. Die Machtbasis von Erdogan ist solide, der von Demonstrierenden geforderte Rücktritt nicht in Sicht.

Vielleicht wäre es strategisch klüger, einen Gang runterzuschalten und etwa Umweltschutz, Meinungsfreiheit, bessere Polizeikontrolle zu verlangen? Das wollen auch viele der Anhänger Erdogans. Eine weitere Polarisierung der gespaltenen Türkei hilft nur Erdogan. Der munter Öl ins Feuer gießt.

Und was macht der ungeliebte Nachbar Syrien? Laut Medien dreht sich alles ums Giftgas, insbesondere Frankreich wartet mit neuen Belegen auf. Dabei ist längst klar: Ja, es wurde Giftgas eingesetzt, vielleicht vom Regime, vielleicht von Gruppierungen auf Seiten der islamistisch ausgerichteten Rebellen, vielleicht von beiden, aber immer nur in kleinen Mengen. Das legt die Vermutung nahe, dass das Gas nicht zur Massenvernichtung eingesetzt wurde, sondern um Zivilisten und säkulare Rebellen zu zermürben: Seht her, wir überschreiten die „rote Linie“, aber der Westen hilft euch nicht. Und die Demoralisierung funktioniert. Das Problem in Syrien, zumal in den befreiten Gebieten entlang der türkischen Grenze, ist ja nicht das Giftgas, sondern das fehlende Gas zum Kochen. Das Holz ist alle, der Winter war hart, inzwischen zünden die Frauen Plastik zum Kochen an. Und weit und breit keine Hilfsgüter. Anstatt den Kampf um Demokratie stur auf seine militärischen Aspekte zu reduzieren, sollte der Westen das Land endlich mit Kochgas, Mehl und Verbandszeug unterstützen.

Positives gibt es aus der Kultur zu vermelden. Richard Linklaters Film „Before Midnight“ mit Ethan Hawke und Julie Delpy ist angelaufen und sehr, sehr sehenswert. Exzessiv wird hier Sprache eingesetzt, um Probleme anzusprechen und Rettungsmöglichkeiten für eine vom Alltag hart angefressene Liebe auszuloten. Ausgang offen. Prima. In ein paar Jahren gibt es dann sicher eine nächste Folge dieser klugen Zeitgeiststudie, die 1995 so romantisch begann.

INES KAPPERT