Auch der Teddy ist gegen Guido

QUEERE SUJETS Jetzt bloß nicht den Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge verlieren: Trotz der fast schon traditionell missglückten Gala hatte die Verleihung der Teddy Awards 2010 wieder ihre schönen Momente

Werner Schroeter appellierte bei der Preisvergabe, sich mit dem Erreichten nicht zufriedenzugeben

VON JAN KEDVES

In diesem Jahr konnten die Organisatoren des queeren Teddy-Filmpreises in insgesamt 61 Filmen des Berlinale-Programms queere Sujets ausmachen. Bei einer Gesamtanzahl von etwa 400 gezeigten Filmen sicher kein schlechter Schnitt.

Dabei wurde das mit Abstand queerste Filmevent der Berlinale nicht einmal mitgerechnet. Der New Yorker Filmemacher Uzi Parnes und die kubanische Filmemacherin Ela Troyano hatten am Donnerstagabend im Arsenal, im Rahmen des Forum-Expanded-Programms, in ihrer Performance „The Silence of Marcel Duchamp“ eine wild lärmende Bildorgie übereinandergeblendet: Bilder von nackten Adonissen, dokumentarische Aufnahmen aus den Fuck Piers (jenen in den Achtzigerjahren zum öffentlichen Cruising genutzten verlassenen Lagerhallen im Hafen Manhattans), ohrenbetäubende Sägegeräusche von John Zorn und eine Livelesung der Berliner Schauspielerin Susanne Sachsse. Das war eine Performance ganz in der Tradition des „Live Film“-Konzepts von Jack Smith, dem es immer darum ging, eine möglichst unreproduzierbare, unkonventionelle und somit unkommerzialisierbare Form für Film zu finden.

Uzi Parnes, der in den Achtzigerjahren mit Smith kooperierte, und Troyano, die 1994 für ihren Kurzfilm „Carmelita Tropicana“ in Berlin einen Teddy Award bekam, stemmten sich auf diese Weise nicht zuletzt gegen die filmische Ultrakonventionalität, mit der paradoxerweise besonders die queeren Dokumentarfilme des diesjährigen Berlinale-Programms herumödeten. Beispielhaft sei hier genannt: James Rasins „Beautiful Darling: The Life and Times of Candy Darling“, der das Leben des glamourösen Warhol-Drag-Superstars privatfernsehgerecht zu einer tragischen Freakgeschichte zusammenschnurren lässt.

Ausgezeichnet mit einer Teddy-Trophäe wurden am Freitagabend schließlich: Lisa Cholodenkos lesbische Familienkomödie „The Kids Are All Right“ (Bester Spielfilm), Pietro Marcellos „La bocca del lupo“ (Bester Dokumentarfilm) und James Francos „The Feast of Stephen“ (Bester Kurzfilm). James Franco, der letztes Jahr bereits Sean Penns Lover in „Milk“ spielte und dieses Jahr im Wettbewerb in „Howl“ als Allen Ginsberg zu sehen war, scheint Spaß daran zu haben, so etwas wie der schwulste Hetero Hollywoods geworden zu sein. Glückwunsch!

Den Publikumspreis des Siegessäule-Magazins erhielt „Postcard to Daddy“, eine Dokumentation des Berliners Michael Stock über seinen am eigenen Leib erfahrenen sexuellen Missbrauch durch den Vater. Wieland Speck, der Direktor der Panorama-Sektion, erklärte, „Postcard to Daddy“ sei der erste Film, der mit dem Tabuthema Kindesmissbrauch „authentisch und unverlogen“ umgehe.

So weit, so erfreulich. Nur geriet die Gala – diesmal am Gleisdreieck in den Hallen von „Station Berlin“ – wie schon in den letzten Jahren zum entertainerischen Trauerspiel. Es fing bereits mit der Moderation an: Weil die Gala einen Abend später auf Arte übertragen wurde, führte wieder einmal die rundum unmögliche Arte-Conférencière Annette Gerlach durch den Abend. Sie überfuhr die Preisträger auf der Bühne mit platten Scherzen und demonstrativer Kumpelhaftigkeit, den Teddy nannte sie wahlweise „Deddy“ oder „Tetty“. Auch der Auftritt der Ton Steine Scherben zu Ehren Rio Reisers, der in diesem Jahr 60 geworden wäre, war ein Desaster. Nicht nur trugen die verbliebenen Scherben-Mitglieder zu „Halt dich an deiner Liebe fest“ militärische Husarenjacken, als wollten sie plötzlich die Sgt. Pepper’s Band sein, auch die Wahl des Ich+Ich-Sängers Adel Tawil als Reiser-Ersatz war ein böser Fehlgriff. Claudia Roth fühlte sich trotzdem zu Standing Ovations hingerissen.

Klaus Wowereit benutzte in seiner Grußansprache dann konsequent die veraltete Terminologie „schwul-lesbisch“ statt „queer“, blendete also die vielfältigen weiteren durch den Teddy repräsentierten Trans-, Bi- und Poly-Identitäten aus. Immerhin lieferte er damit dem anschließend mit dem Special-Teddy für sein Lebenswerk geehrten Werner Schroeter die Steilvorlage: In seiner ergreifenden Dankesrede wies Schroeter darauf hin, wie erfreulich es sei, dass der Teddy-Preis, inzwischen zum 24. Mal vergeben, heute so vieles mehr umfasse als nur „Schwules“ und „Lesbisches“. Es folgte ein poetischer Appell des Regisseurs, sich mit dem Erreichten nicht zufriedenzugeben und nicht den Blick für gesellschaftliche Zusammenhänge zu verlieren.

Was er damit sagen wollte, war wohl klar – nur war es vielleicht noch etwas zu elegant formuliert. Der größte Jubel des Abends jedenfalls schallte durch die lange Halle, als einer der Arte-Kameramänner im Publikum auf Rosa von Praunheims fußballrasengrünes Jackett zoomte und die Botschaft des blau-gelben Buttons an dessen Revers über die großen Leinwände flimmerte: „Gays against Guido“.