„Glos will mehr Bürokratie“

INTERVIEWDANIELA WEINGÄRTNER

taz: Frau Hübner, die Menschen in den alten EU-Staaten sind nicht gut auf die Erweiterung zu sprechen. Wie kommt es, dass Osteuropa für die schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt und die sozialen Bedrohungen verantwortlich gemacht wird?

Danuta Hübner: Wir Politiker haben unsere Arbeit nicht gut gemacht. Es ist uns nicht gelungen, den Menschen zu erklären, welche Chancen die Erweiterung bietet. Außerdem neigen wir dazu, die Schuld für Probleme immer bei anderen zu suchen – und da bietet sich Brüssel an. Die vielen Jahre mit hohen Arbeitslosenzahlen und wenig Wachstum haben in Europa eine Stimmung erzeugt, in der ein Sündenbock für das Unglück gesucht wird.

Was sagen Sie einem deutschen Politiker, der argumentiert, er wolle nicht länger mit EU-Beiträgen die niedrige Gewebesteuer in Polen finanzieren und damit die Verlagerung von Arbeitsplätzen forcieren?

Die Steuersituation in Ost- und Westeuropa kann man nicht vergleichen, die Systeme sind zu unterschiedlich. In den neuen Mitgliedstaaten, wo die Gewerbesteuern sehr niedrig sind, gibt es dafür andere Abgaben. Untersuchungen zeigen außerdem, dass das Hauptmotiv für Arbeitsplatzverlagerungen nicht die Steuern, sondern niedrige Löhne sind. Bei Investitionen in Indien oder China kommt noch die Überlegung hinzu, dass man einen riesigen neuen Markt erschließen kann. Aber davon abgesehen sollten wir insgesamt in Europa zu niedrigeren Steuern kommen, weil das die Wirtschaft ankurbelt.

Sie sagen, dass mit den EU-Geldern in Osteuropa 2,5 Millionen Arbeitsplätze entstehen werden. Wie stellen Sie sicher, dass einige davon nicht aus Deutschland herüberwandern?

Untersuchungen in Frankreich haben gezeigt, dass nur 0,003 Prozent der Jobs durch Verlagerungen verloren gehen. Wir haben strenge Wettbewerbsregeln in der EU. Die Wirkung bestimmter Beihilfen auf den Arbeitsmarkt wird stets mit geprüft. Kein größeres EU-Projekt läuft ohne Kosten-Nutzen-Analyse. Auch wenn von den Medien ein entsprechender Verdacht geäußert wird, prüfen wir das sofort. Den AEG-Fall haben wir sowohl in Bayern wie in Polen nachgeprüft. Danach kann ich ausschließen, dass das Unternehmen EU-Gelder erhalten hat.

Können Sie sich denn vorstellen, die neuen Förderrichtlinien in dieser Hinsicht noch strenger zu formulieren, wie es der deutsche Wirtschaftsminister Michael Glos in einem Brief vorgeschlagen hat?

Der Entwurf, den wir vorgelegt haben, entspricht ziemlich genau dem, was Herr Glos haben möchte. Nur die von ihm geforderte Prüfschwelle von 25 Millionen Euro Förderumfang lehnen wir ab. Stattdessen möchten wir Strukturinvestitionen erst ab 50 Millionen Euro genauer untersuchen. Ich muss offen sagen, dass ich über diese Forderung überrascht war. Alle Mitgliedstaaten klagen immer über zu viel Bürokratie aus Brüssel. Deshalb wollen sie immer eine möglichst hohe Schwelle für zusätzliche Prüfverfahren, damit möglichst wenige Projekte betroffen sind. Jetzt aber will Herr Glos mehr Projekte prüfen lassen, also noch mehr Bürokratie. Offiziell können wir auf den Vorschlag aber noch gar nicht reagieren. Deutschland müsste den Änderungswunsch im Ministerrat einbringen, und das ist bislang nicht geschehen. Man muss sich aber auch klar sein, dass die Zahl der Projekte, die dann langwierig geprüft werden müssten, explodieren würde. Denn die meisten Projekte bewegen sich in dem von Glos vorgeschlagenen Größenumfang.

Die Strukturförderung wird ab 2007 völlig neu geordnet. Hat sich das alte System nicht bewährt?

Durch die Erweiterung haben sich die Anforderungen geändert. Wir brauchten neue Instrumente, die nicht nur den statistisch gesehen ärmsten Regionen in Osteuropa, sondern auch strukturschwachen Gebieten in den alten Mitgliedstaaten zugute kommen. Außerdem wollen wir die Prozeduren vereinfachen und künftig Wachstum und Beschäftigung zum Hauptziel unserer Förderung machen.

Das Geld aus Brüssel soll auch dadurch besser genutzt werden, dass künftig Projekte nicht nur zwei, sondern drei Jahre gefördert werden. Warum unterstützen Sie diesen Vorschlag nicht?

Ich habe nichts dagegen, für sehr große Projekte noch ein Jahr dazuzugeben. Aber niemand war bislang dafür, für kleine Projekte aus dem Regionalfonds einen Spielraum von drei Jahren einzuräumen. Ich habe die Sorge, dass die Mittel dann weniger Wirkung entfalten würden. Wenn ich drei Jahre Zeit gebe, dann dauert es auch drei Jahre. Europa braucht mehr Haushaltsdisziplin und rascheren Wandel.

Vor meinem Besuch bei Ihnen habe ich Europaabgeordnete gefragt, welche Frage ich Ihnen stellen soll. Die Politiker wollen wissen, warum Sie nicht mit dem Parlament für ein höheres Budget kämpfen?

Seit Dezember 2004 habe ich für ein größeres Budget gekämpft. Der Vorschlag der Prodi-Kommission kam schließlich nicht aus dem luftleeren Raum, sondern hat die Gelder, die zur Bewältigung unserer Aufgaben nötig sind, zusammengerechnet. Mein größter Erfolg war es, die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass auch die reicheren Regionen im Westen weiter Förderung brauchen. Der Rat hat sich ein Jahr lang auf den Standpunkt gestellt, nur die ärmsten Regionen sollten Geld aus Brüssel bekommen. Ich habe hunderte von Gesprächen geführt und diesen Haushaltstopf gerettet. Ich hatte selbst zu Beginn der Woche Gelegenheit, mir in Schleswig-Holstein anzusehen, wie mit EU-Strukturmitteln Jobs entstehen. Ich war überrascht, dass in Flensburg die Arbeitslosigkeit genau so hoch ist wie in Polen. Auch in den reichen EU-Staaten gibt es Enklaven von Armut.

Also werden Sie sich bei der Strukturförderung mit dem begnügen, was die Regierungschefs bewilligt haben?

Viel schlimmer sind die Einschnitte in anderen Bereichen, wie Forschung und Bildung. Aber der Spielraum für Nachbesserungen ist winzig. Ratspräsident Schüssel hat von seinen Kollegen ein sehr enges Verhandlungsmandat bekommen.