Volksbefragung droht

ULTIMATUM Premier Erdogan kündigt Räumung des Gezi-Parks an und will eine Volksbefragung zur Bebauung durchführen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat den BesetzerInnen des Istanbuler Gezi-Parks am Donnerstagnachmittag ein Ultimatum gestellt. Wenn sie nicht unverzüglich den Park verlassen, werde die Polizei durchgreifen und den Park räumen.

Erdogan sprach vor einer Versammlung von Kommunalbeamten seiner Partei von einer „letzten Warnung“. Die Rede wurde live im Fernsehen übertragen. „Kein Rechtsstaat auf der ganzen Welt kann eine illegale Besetzung eines Parks im Zentrum seiner größten Stadt auf Dauer tolerieren. Ich fordere die Eltern der jugendlichen BesetzerInnen auf, holen Sie Ihre Kinder nach Hause. Ich kann für ihre Sicherheit nicht länger garantieren“.

Nach der Schlacht um den Taksim-Platz in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hatte sich der Gezi-Park schon am Mittwoch wieder mit ParkschützerInnen gefüllt. Am Donnerstag sah es bereits wieder aus wie vor dem Polizeisturm zwei Tage zuvor. Überall standen Zelte diverser politischer Gruppen, dazwischen Gruppen debattierender Menschen.

Am Mittwochnachmittag hatte Erdogan in Ankara mit elf „Vertretern der Zivilgesellschaft“ gesprochen, einer Gruppe von Menschen, die er zuvor selbst hatte aussuchen lassen. Unter den Künstlern, Architekten und Stadtplanern waren mehrere Personen, die der Erdogan-Partei AKP nahestehen. Der Premier hatte dabei aber niemanden getroffen, der von der Taksim-Solidaritätsplattform legitimiert worden wäre, einem Zusammenschluss von mehr als 100 Bürgerinitiativen. Nach dem Treffen erweckte Regierungssprecher Hüseyin Celik den Eindruck, als hätten die Vertreter der Zivilgesellschaft den Vorschlag eines Referendums über den Park gemacht und die Regierung hätte dies als Zugeständnis akzeptiert.

Tatsächlich hatte die Regierung diesen Schritt wohl schon zuvor beschlossen. „Mit uns hat niemand über ein Referendum gesprochen“, sagte Ipek Akpinar, eine Stadtplanerin, im Anschluss an das Treffen mit Erdogan. „Wir haben nur dafür plädiert, dass alle weiteren Schritte friedlich sein müssen.“

Ein rechtsförmiges Referendum über den Gezi-Park wäre auch gar nicht möglich. Ein Sprecher des obersten Verwaltungsgerichts sagte, dass ein Verfahren wegen der Bebauung des Parks anhängig sei und das Gericht einen Baustopp verhängt habe. Außerdem können nach geltendem Recht Referenden nur zur Änderung der Verfassung abgehalten werden. Erdogan griff diesen Einwand auf und sprach dann am Donnerstagnachmittag von einer Volksbefragung unter den Bewohnern von Istanbul. „Wir machen kein Referendum, wir veranstalten ein Plebiszit“, sagte Erdogan in seiner Rede.

Die meisten BesetzerInnen im Gezi-Park sehen beides als taktisches Manöver der Regierung. Während das Solidaritätsbündnis Taksim-Platz noch über eine Antwort auf Erdogans neue „demokratische Wende“ beriet, sagte Platzbesetzer Ilham: „Das ist doch nur ein Trick, um uns mundtot zu machen. Erdogan hat den Staatsappart, die Medien und Tausende Parteihelfer die dafür sorgen, dass jedes Plebiszit im Sinne der Regierung ausgeht.“ Über Twitter gab es zu Erdogans Vorschlag nur eine Meinung: „Was sollen wir mit einer Abstimmung, deren Ergebnis doch sowieso schon jeder kennt?“ Andere sehen zwar in einer Abstimmung einen ersten richtigen Schritt, sind aber der Meinung, dass eine Abstimmung über den Park den Grundkonflikt über Freiheitsrechte und Meinungsfreiheit nicht lösen kann.

Die ParkbesetzerInnen riefen deshalb dazu auf, den Gezi-Park in den kommenden Tagen mit einer Menschenkette zu schützen.