VERTEUERTE SCHULSPEISUNG UND RAUMNOT, DAS SYSTEMATISCHE BRECHEN VON PLANFESTSTELLUNGSBESCHLÜSSEN UND BUSINESSCENTER IN ALT-SOWIESO
: Nehmen Sie Ihre Kinder von der Straße

VON KATHRIN RÖGGLA

Nehmen Sie Ihre Kinder von der Straße!“, herrscht mich die brandenburgische Frau an. Sie fährt langsam mit ihrem Fahrrad den brandenburgischen Sonntagsweg entlang. Die Vöglein zwitschern, die Bienen summen, der Akazienblütenstaub schwebt, und weit und breit ist keine Straße zu sehen, nur Vorgärten. Weit und breit keine Straße, sage ich also mehr zu mir als zu ihr, weit und breit keine Kinder, doch das stimmt nicht, sie müssen irgendwo hier sein, eben waren sie noch da, ach ja, im Gebüsch, schon vorne drinnen im Vogelschutzpark, wo sie anscheinend hingehören.

Die Vögel sagen dazu nichts. Sie kümmern sich um ihre eigenen Angelegenheiten, wohltuend, deswegen geht man ja zu ihnen hin. Das Ganze nennt sich Sonntagsausflug. Man befindet sich genau jenen notwendigen Zentimeter von der Endzeitstimmung entfernt, die die Woche fest im Griff hält: Der Berliner Energietisch könnte sich seinem Ende zuneigen, verteuerte Schulspeisung und Raumnot tun das aber garantiert nicht, auch die Wassermassen anderswo bleiben einfach erst mal und machen aus Jahrhundertfluten Jahrtausendereignisse und ersticken alles dann doch nur Gegenwartsschlamm. Aber: „Nehmen Sie Ihre Kinder von der Straße!“ – habe ich doch gemacht, habe ich doch gemacht, jawohl, sofort, ich mache nichts anderes im Augenblick, ich schwöre, auf den zahlreichen Sommerfesten, in den zahlreichen Verabschiedungen, den letzten Verabredungen und Endkonferenzen nehme ich ständig die Kinder von der Straße und aus dem Weg. Immer sind sie da und stören das Bild, zumindest das der anderen, die in Ruhe chillen oder shoppen wollen oder was weiß ich, Umsätze bringen vermutlich. Dabei sind Kinder bekanntlich die besten Kunden und müssten daher als Vorzugsbürger gelten.

Bildung wird großgeschrieben, vermeldete eben ein Senatsbildungssprecher, ich habe es genau gehört, deswegen habe man höchste Qualitätsansprüche an die Erzieherinnen, nur leider nicht an deren Bezahlung, möchte ich hinzufügen, aber ich muss ja die Kinder von der Straße nehmen, mit nichts anderem bin ich beschäftigt, kann auch gar nicht wirklich die unter diesem zukünftigen Flugroutenhimmel erforderliche höchste Aufmerksamkeit aufbringen. Und die ist nötig, denn das systematische Brechen von Planfeststellungsbeschlüssen vonseiten der Stadtregierung gibt den diesjährigen Sommertonfall vor, der vom Wettergott im Mai so gut umgesetzt wurde, im Juni ignoriert er wieder die verkehrte Welt in den heutigen demokratischen Verhältnissen und schnoddert das schöne Wetter über uns herein, als ob das noch möglich wäre, und treibt uns wochenends nach Brandenburg.

Abends auf der Rückfahrt in die Stadt wird mir wieder klar, dass ich an einem Ort der Outlets und Dorfdiskos lebe, der Baumärkte, Automärkte, in einer Aldi-Lidl-Kaiser’s-Netto-Verschaltung, einem Riesenverkehrsprojekt und Infrastrukturmonster. Da kann die Straße auch noch so „Alt-Mahlsdorf“, „Alt-Kaulsdorf“ oder „Alt-Biesdorf“ heißen, das „Businesscenter“ auf der grünen Wiese verrät einem die ganze Wahrheit über das Wunschdenken der tonangebenden Investoren. Es ist an Albernheit nicht zu überbieten, möchte ich gerade sagen, aber ich nehme schon wieder die Kinder von der Straße, ich bin mit nichts anderem beschäftigt, ich könnte sonst auf Ideen kommen.