„Deutsch ist nicht bedroht“

VORTRAG Die Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese nimmt Angst vor Jugenddialekt „Kiezdeutsch“

■ 47, Sprachwissenschaftlerin und Sprecherin des Zentrums für „Sprache, Variation und Migration“ an der Universität Potsdam.

taz: Frau Wiese, was ist „Kiezdeutsch“?

Heike Wiese: „Kiezdeutsch“ ist eine Umgangssprache des Deutschen, ein Dialekt von in Großstädten lebenden Jugendlichen. Es hat sich dort entwickelt, wo in urbanen Wohngebieten viele Jugendliche mehrsprachig sind.

Warum „Kiezdeutsch“ und nicht „Kanak Sprak“?

Die Bezeichnung „Kanak Sprak“ wurde in den Neunzigerjahren von Feridun Zaimoglu literarisch verwendet. Es war der Versuch der Rückeroberung eines negativ geprägten Begriffs durch dessen selbstbewusste Annahme, ähnlich wie es die Bezeichnung „Nigger“ in politischen Bewegungen der Afroamerikaner in den USA.

Und die Jugendlichen selbst nennen es „Kiezdeutsch“?

Ja. Ich finde den Begriff auch besser. „Kanak Sprak“ ist immer noch ein xenophober Begriff. Außerdem ist „Kiezdeutsch“ präziser. Es ist ja keine Sprache, sondern ein Dialekt, es wird nicht von Ausländern gesprochen, sondern von Inländern, und dabei von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.

Der Titel Ihres Vortrages lautet „Keine Angst vor Kiezdeutsch“ – wovor sollten wir Angst haben?

Gar keine! Es gibt aber noch immer sehr große Vorbehalte gegenüber Kiezdeutsch: manche sehen darin das Scheitern von Integration. Sie sehen die deutsche Kultur bedroht und fürchten den Verfall der Sprache.

Ist es kein Sprachverfall?

Nein, Kiezdeutsch ist ein regelhafter Dialekt des Deutschen, der grammatisch vieles aufnimmt und weiterentwickelt, was im Deutschen angelegt ist. Pendants findet man auch in anderen germanischen Sprachen.

Wo spricht man Kiezdeutsch?

Man hört es nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Duisburg, Stuttgart, Freiburg, und, wie eine Kollegin mir erzählte, auch in Bremen.  mb

Vortrag: 19 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4