durch katrins brille
: Wie man den Glamour bändigt

Die Stadt ist voller krokusbunter Linas, seit Wochen schon. Es ist ganz rätselhaft, aber das Wesen des Starschnitts ist eben die bizarre Unkenntlichkeit seiner Einzelteile – und so gilt es auch für die Plakate zu den heute beginnenden Internationalen Filmfestspielen. Eine Lina, das weiß man jetzt, ist nichts als das lautliche Mittelstück der Berlinale, und wer all die Plakate zusammenklaubt, zerschneidet und wieder zusammensetzt, wird schlussendlich im Besitz eines – fahrlässig geschätzt – wandgroßen Berlinale-Starschnitt-Bären samt Berlinale-Schriftzug sein. Dann lieber Filme sehen?

Selten fiel eine Entscheidung so federleicht.

Die Filme der diesjährigen Berlinale seien „realitätsnah, sehr persönlich und politisch“, und natürlich – das ist Festivaldirektor Dieter Kosslicks zweiter running gag neben der Furcht vor den rutschenden Socken – sei auch in diesem Jahr Sex ein Thema. Im letzten Jahr, so erinnert man sich versonnen, hatte das sexuelle Moment in der Jury eine gewisse Übermächtigkeit gewonnen, der schillernden chinesischen Schauspielerin Bai Ling sei Dank. Hatte nicht der diensthabende Fotograf ganze Kilometer Film auf Premierenfeiern verschossen, featuring the one and only dancing queen? Und trieb er sich nicht nächtelang – aber das ist jetzt wirklich ein Märchen. Doch möge er in diesem Jahr Tag und Nacht mit Charlotte Rampling sein. Denn in diesem Jahr sitzt sie der Jury vor.

Nimmt man zu diesen Tendenzen noch eine weitere, bereits vielbeachtete, hinzu: die nämlich zum deutschen Film – jeder siebte Film dieser 56. Berlinale ist aus deutscher Produktion, vier davon sind im Wettbewerb zu sehen –, dann ist noch vor jeder Bärenvergabe der Film der Berlinale gefunden: Oskar Roehlers „Elementarteilchen“. Besetzungstechnisch eine lange Liste deutscher Filmgrößen, bringt „Elementarteilchen“ gewissermaßen subtil die Frage des Glamours ins Spiel. Dieter Kosslick – ein wunderbarer Festivaldirektor allein deshalb, weil er ein quasinatürliches Verhältnis zum Glamour besitzt –, begegnet ihm mit gewohnt virtuosem Dreischritt: den Glanz ausspielen, den Glanz ironisieren und dann mit dem reststolzen Glitzern hübsch jonglieren. Das fügt sich schmuck ins spröde Grau der Hauptstadt ein und geht so: „Mein Freund George Clooney, der neulich zu mir sagte, als ich zu ihm sagte: ‚Du siehst gut aus‘, der also sagte: ‚Ja, du auch.‘“

Wie man Glamour bändigt, lehrt der Festivaldirektor, wie er in die Welt kommt, die diesjährige Retrospektive: Traumfrauen der Fünfzigerjahre, das ist jede Menge doing gender in jeder Menge Pelz. Was die Traumfrauen der Fünfziger von denen davor und danach unterscheidet? „Sie sind realitätsnäher als die früheren und besser und vollständiger bekleidet als die späteren“, so der Kurator Helmut Prinzler. In der Tat liegt ein gewisser Fokus auf der Garderobe, und wenn sich die junge Eve Harrington in „All about Eve“ vor dem Spiegel die Robe der Diva vorhält, probeweise, in Vorbereitung, dann kann man nur sagen: Sie probieren Geschichten an wie Kleider.

Es ist also so weit: Die Berlinale kann beginnen! KATRIN KRUSE