„Evita ist Angela Merkels Mutter“

Pieter-Dirk Uys kämpfte als Kunstfigur „Evita“ mit politisch unkorrektem Kabarett gegen die Apartheid in Südafrika. Seit elf Jahren ist das Land eine Demokratie. Warum Evita trotzdem nicht ausgedient hat

INTERVIEW DOMINIC JOHNSON

taz: Herr Uys, seit Jahrzehnten machen Sie in Südafrika politisches Kabarett – früher gegen Apartheid, heute gegen Aids. Lachen Weiße und Schwarze über unterschiedliche Dinge?

Pieter-Dirk Uys: Nicht wirklich. Aber die Schwarzen lachen zuerst. Die Weißen gucken erst: Lachen die Schwarzen? Gut, dann können wir auch lachen.

War das früher auch so?

Früher war es verboten, dass Weiße und Schwarze zusammen im Theater sitzen. Wenn es trotzdem vorkam, waren die Weißen völlig erstaunt, dass die Schwarzen die Witze verstehen!

Ihre berühmteste Figur ist Evita Bezuidenhout, die weiße Diva, die die Apartheid so albern verteidigt, dass man darüber lacht. Jetzt gibt es keine Apartheid mehr. Was ist aus Evita geworden?

In den 80er-Jahren war Evita mächtig. Dann kam Mandela, Demokratie, und ich dachte: Jetzt ist es aus. Aber die Politik sorgt dafür, dass Evita weiterlebt. Sie ist jetzt Großmutter von drei schwarzen Kleinkindern. Sie musste sich an diesen Albtraum anpassen: eine christliche Afrikaans-Frau, deren Tochter den schwarzen Gärtner heiratet, der ins Parlament einzieht! Damit hat sie das schwarze Publikum für sich eingenommen, denn man sieht, wie sie versucht, nicht rassistisch zu sein. Sie sagt: „Wie konnte ich so schrecklich sein, das ist doch so unchristlich, Kinder haben keine Hautfarbe, sie sind unschuldig und rein. Bis sie zu stehlen anfangen, dann werden sie Schwarze …“

Wie erklärt man Evita den Deutschen?

Evita ist Angela Merkels Mutter. Margaret Thatcher hat ihre Erschaffung beeinflusst, auch Nancy Reagan. Auch Filmstars wie Sophia Loren. Es war mir wichtig, dass Evita real ist, damit die Frauen eine Frau sehen und die Männer den Mann dahinter vergessen. Und wenn heute Nelson Mandela kommt und ruft: „Ooooh, Evita!!!“, und sie in den Arm nimmt, dann hat er sie im Arm, nicht mich! Mandela ist einfach toll. Ich trete auf Dinnerpartys auf, wo Mandela Oprah Winfrey einlädt und Bill Clinton. Evita hat afrikanische Kleider an und erzählt von ihren kleinen Enkeln: „Die sind schwarz, also kann ich sie im Dunkeln nicht sehen, außer wenn sie lächeln, dann sehe ich ihre kleinen weißen Zähne …“ Und alle lachen. Außer Oprah. Sie denkt: Das ist doch rassistisch! Und dann guckt sie Mandela an, der vom Stuhl fällt vor Lachen. Da fängt auch Oprah langsam an zu lächeln.

Evita ist ja Südafrikas berühmteste weiße Frau geworden …

Berühmtheit ist sehr seltsam. In den 80er-Jahren trat ich im Johannesburger „Market Theatre“ auf, und Schwarzen war der Zutritt verboten, aber sie kamen trotzdem. Es gab damals einen Kabinettsminister, der verantwortlich war für die Umsiedlung von Schwarzen. Er kam ins Theater, und ich war dabei, ihn zu veralbern, und er klatschte! Ich dachte: Wahnsinn. Und es waren Schwarze im Theater, die sahen diesen Minister und baten ihn um Autogramme!

Gab er sie ihnen?

Ja! Und er umarmte sie! Völliger Wahnsinn. Das ist, was Berühmtheit verursacht. Gerade in Südafrika, wo die Schlechten von gestern noch da sind. Wir hatten keine Nürnberger Prozesse, wir hatten die Wahrheitskommission. Nelson Mandelas geniale Idee war, uns zu vereinen, nicht zu spalten.

Funktioniert das heute noch?

Es funktioniert noch, außer dass es politische Strömungen gibt, die es zu untergraben versuchen. Präsident Thabo Mbeki ist kein Fan von Desmond Tutu, der die Wahrheitskommission leitete. Mbeki wurde von der Wahrheitskommission nie amnestiert! Und wir wissen nicht, warum. Niemand spricht darüber.

Mbeki ist auch dafür bekannt, dass er die Aidsbekämpfung in Südafrika nicht vorantreibt. Warum ist Aids in Südafrika so ein schwieriges Thema?

Aids ist überall ein schwieriges Thema. Es geht um Sex, es hat mit Moral zu tun und mit Religion, es ist ein Minenfeld. Ein Grund für Afrikas Leugnen ist, dass sich Afrika beleidigt fühlt: Die Welt denkt, die Schwarzen verbreiten das Virus, weil sie zu viel Sex haben – was Unsinn ist: Jeder hat Sex mit jedem, wenn er die Gelegenheit hat und aussieht wie Brad Pitt. Aber in Südafrika sind so viele Menschen auf so engem Raum zusammengepfercht. Es sind Millionen Häuser für Leute gebaut worden, die kein Zuhause hatten. Die Häuser sind so groß wie in Deutschland ein einziges Zimmer, und sie haben auch nur ein einziges Zimmer. Acht Leute in einem Zimmer. Mutter, Vater, die Kinder, die Oma und der Onkel, und die Leute betrinken sich, die Dreijährigen gucken zu, sie sehen, wie der Onkel am Wochenende zu Besuch kommt und trinkt, und irgendwann schläft jemand mit den Vierjährigen und jeder hört es und keiner sagt was, weil es so schrecklich ist.

Das erklärt nicht, warum Thabo Mbeki so ein Problem mit Aids hat …

Nein, und dafür habe ich keine Erklärung. Ich habe in meiner Show eine Mbeki-Puppe, und ich spiele dazu P. W. Botha, den Vater der Apartheid, und Botha sagt: Wie kann es sein, Thabo, dass du für den Tod von mehr Schwarzen verantwortlich bist als ich? Und Thabo Mbeki sagt: Nein, wir sind nicht für ihren Tod verantwortlich – wir lassen sie ganz alleine sterben. Ignoriere sie und sie gehen weg. Wenn wir die Armen nicht aufklären, sterben sie. Das ist der neue Völkermord. Völkermord ist nicht das, was wir aus der Geschichte kennen. Völkermord heißt, man klärt Leute nicht auf, und plötzlich gibt es 20 Millionen Menschen weniger. Die Kinder in den Townships nennen Mbeki „Genosse Totengräber“. Sie sind nicht blöd! Sie sind wütend! Man behandelt sie wie Idioten. Sie wollen wissen, was sie tun sollen. Sie wollen wissen, dass sie Rechte haben, wenn man sie vergewaltigt. Ich sage den Mädchen: Haltet es nicht geheim! Das Verschweigen wird euch töten. Du bist nicht allein. Millionen Menschen sind in deiner Lage. Sei mutig, sei stark, werde wütend, sag, wer es war. Sag es mir! Ich will die Namen wissen!

Wie ist das, wenn Sie mit diesen Themen zu Schulklassen gehen?

Ich frage die Kinder: Was ist Demokratie? „Mandela!“ Ja. „Keine Apartheid.“ Ja. „Fußball!“ Ja. „Die WM!“ Ja, ja. Und ich sage: Wisst ihr, was Demokratie wirklich heißt? Dass jeder von euch hier der wichtigste Mensch in Südafrika ist. Sie glotzen mich an. Ich sage: Wie heißt du? „Sipo“, sagt einer. Ich sage: Sipo, du bist der wichtigste Mensch in Südafrika. Du bist so wichtig wie Nelson Mandela. „Nein!“ Du bist wichtiger als Thabo Mbeki. „Jaa!!“ Und man sieht, wie in ihren Augen die Lichter angehen. Noch nie hat ihnen jemand das gesagt.

Gibt es keine politische Bildung in Südafrikas Schulen?

Doch, aber es sind Lektionen, und das ist langweilig. Ich habe gelernt: Ich habe eine Minute. Wenn sie sich langweilen, drehen sie mir nach einer Minute den Rücken zu und schreiben sich SMS.

Wie bringen Sie die Kinder dazu, sich zu interessieren?

Ich erzähle ihnen von mir. Ich bringe sie dazu, über ihre Ängste zu lachen. Ich spiele Evita. Kennt ihr mich, frage ich, ich bin Pieter-Dirk Uys? „Nein.“ Kennt ihr Evita? „Ja!“ Wollt ihr Evita sehen? „Ja!!“ Soll ich Evita holen? „Jaaa!!!“ Und ich nehme den Lippenstift heraus, und da bricht die Hölle los. Den Lippenstift, die Sophia-Loren-Sonnenbrille, große Ohrringe, ein schönes Stück Tuch, aber keine Stöckelschuhe und keine Schminke. Dann sage ich: Was habe ich vergessen? „Die Haare!“, rufen sie. Und ich drehe mich um und setze die Perücke auf, und plötzlich ist Evita da. Es ist ein wunderbarer Sieg des Theaters, der Fantasie. Und die Kinder lachen über sie, denn sie sagt: Du bist schlecht, du sollst keinen Sex haben, du gehst noch zur Schule, Mädchen sollen mit Puppen spielen und Jungen Fußball, und erst sollst du heiraten und dann sollst du Sex haben, und Aids passiert nur mit Armen und Schwarzen. Und hinterher, wenn Evita wieder weg ist, frage ich: Was haltet ihr davon? Sie sagen: „Die redet Unsinn.“ Und ich sage: Ihr habt Recht!

Vergessen Kinder heute in Südafrika, wie es früher war?

Das Tolle an den Kindern ist, dass sie ohne legalisierte Vorurteile aufwachsen. Kein Gesetz erlaubt einem Kind, sich als etwas Besseres zu fühlen. Ich frage ein Kind: Wer ist deine beste Freundin? Sie sagt: Das Mädchen im roten Kleid. Sie sagt nicht: Das schwarze Mädchen im roten Kleid. Es sind die Eltern, die immer das Ding mit den Rassen hereinbringen. Meine Generation ist noch vergiftet, mit ihren alten Vorurteilen.

Gehen Sie manchmal für Ihr Publikum zu weit?

Ja, aber nur, wenn das Publikum nicht hinterherkommt. Religion ist eine Gefahrenzone. Rassismus ist auch sehr gefährlich – wie kann ein Schwarzer rassistisch sein? Aber ich habe Freunde, die von ihren Nachbarn getötet wurden, weil sie im Fernsehen gesagt haben, sie seien HIV-positiv. Drei Wochen später waren sie tot, weil ihre schwarzen Nachbarn sagten: Wir wollen euch nicht. Sie steinigten sie, wie in der Bibel.

Wird Südafrika intoleranter?

Nein, aber wir merken es früher, wie wenig tolerant die Leute sind. Wir haben Radiosendungen, wo Leute anrufen können, und sie rufen an und beschimpfen sich gegenseitig: Du bist ein Rassist! Nein! Doch! Alle zusammen, Schwarze und Weiße, Arme und Reiche. Als es um die Homoehe ging, riefen plötzlich Schwarze an und sagten: Wir haben gegen Apartheid gekämpft, gegen die Weißen, jetzt haben wir Demokratie und plötzlich kommen diese Schwulen, sie sind fett und weiß und machen uns krank und sie gehören erschossen. Und man denkt erst: Das will ich nicht hören. Und dann: Gut, dass es raus ist.

Also sind Leute offener als früher …

Sie werden offener, und Leute, die früher nie eine Stimme hatten, haben jetzt Meinungen.

Werden Leute auch offener, was Aids angeht? Haben Sie Erfolg?

Ich habe unglaubliches Feedback. Zurzeit warten 500 Schulen auf mich. Vor kurzem kriegte ich eine E-Mail von einem Schulleiter: „Bitte vergessen Sie uns nicht. Niemand weiß von uns, aber wir haben 2.000 Schüler und sie haben von Ihnen gehört, und sie wollen es hören, weil sie auch Aids haben. Und Sie müssen alle mitbringen: Evita und Desmond Tutu. Viele Grüße, Mr Hendricks. Und PS: Bitte vergessen Sie nicht Ihren Penis!“ Denn ich nehme einen Gummipenis mit, auf den ich Kondome stecke. Ansonsten wird der Kondomgebrauch zum Teil noch mit Bananen gezeigt, und ich hatte Schüler, die mir sagten: Klar, man steckt ein Kondom auf eine Banane und dann hat man sicheren Sex. Also sage ich: Nicht auf die Banane! Auf den Penis! Und ich habe einen großen weißen Gummipenis. Und dann brüllen die Kinder: „Aber der ist weiß!“ Und ich sage: Wartet. Und ich hole einen schwarzen – aber der ist kleiner! Und sie rufen: „Rassist!“