ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Lecken Sie ihr zärtlich den Rücken …

… bevor Sie eine Briefmarke aufkleben. Sie ist es wert. Von der Kunst, ein Postwertzeichen zu erwerben

Ich bin nicht unvorbereitet. In meinem Rucksack habe ich alles, um diese Expedition zu überleben. Ein voll aufgeladenes Mobiltelefon. Eine Thermoskanne mit Tee. Eine Rolle Doppelkekse. Eine Hamburger Wochenzeitung, deren Autoren nicht dazu neigen, sich kurz zu fassen. Und ein Taschenbuch.

Nein, ich will nicht nach Usbekistan trampen. Ich muss zur Post. Früher hatte die Post Filialen in jedem dritten Häuserblock. Dort saßen Postbeamte, die Telegramme entgegennahmen oder Renten auszahlten oder Briefmarken verkauften. Das ist lange her.

Jetzt gibt es die Deutsche Post AG. Und die ist in Hongkong und in Schanghai und in Australien. Aber nicht mehr um die Ecke im nächsten Wohnblock, sondern in einer fernen Shopping Mall. Dort gibt es keine Beamten mehr und keine Schalter. Denn das wäre nicht amerikanisch. Und amerikanisch ist hier alles. Sogar die Schlange.

Die amerikanische Schlange zeichnet sich vor allem durch ihre Länge aus: Sie ist bis zu sieben Mal länger als ihre europäische Schwester, weil sich alle für alle Schalter am gleichen Ende anstellen müssen. Dahinter steckt eine Idee. Früher konnte man Pech haben, dass man hinter einer Oma stand, die seit der Inflation von 1923 Papiergeld misstraute und deshalb die Pension ihres verstorbenen Gatten in Münzen ausgezahlt bekam. In der amerikanischen Schlange stehen alle hinter der Inflations-Oma. Das ist gerechter.

Der Preis der Gerechtigkeit ist, Einkaufswagen ausweichen zu müssen, da die Schlange bei Media Markt losgeht und Aldi komplett umzingelt hat. Aber ich habe Glück. Vor dem Briefmarken-Automaten ist es leerer. Nur acht Leute. Nach zwanzig Minuten bin ich dran. Der Automat informiert mich, dass er sechs Sprachen beherrscht. Dafür kann er leider nicht ermitteln, wie schwer mein Brief ist. Leider kann er auch kein Wechselgeld herausgeben, sondern nur Briefmarken im Wert von 0,06 Cent. Leider kann er zurzeit nicht einmal Geld annehmen, sondern funktioniert nur mit einer Karte. Leider nicht mit einer EC-Karte oder irgendeiner der gängigen Kreditkarten. Sondern nur mit einer aufladbaren Geldkarte. Kennen Sie jemanden, der eine Geldkarte hat? Ich stelle mich also doch an der Schlange an. Ich bin ja gut vorbereitet. Nachdem die Kekse gegessen, der Tee getrunken und die Zeitung gelesen und das Kreuzworträtsel gelöst ist, sind es nur noch zehn Meter bis zur Eingangstür. Ich beginne mit dem Taschenbuch. Der Opa drei Plätze hinter mir sitzt auf einem Klappstuhl.

Ab und zu geht es ruckartig vorwärts, weil einer der Wartenden aufgibt und die Schlange fluchend verlässt. Die Zurückgebliebenen erzählen Durchhalte-Anekdoten. Früher habe es Stühle vor den Schaltern gegeben, berichtet einer. Sogar in der DDR seien manchmal mehr Schalter geöffnet gewesen, als Kunden im Raum waren. Unter Kaiser Wilhelm wurde die Post sogar abgeholt – und das mehrmals am Tag.

Noch fünf Leute vor mir bis zum Tresen. Pappschilder informieren mich, ich könne hier einen Internetanschluss bestellen oder einen Kredit bis zu 50.000 Euro aufnehmen. Ein Pappkamerad mit dem Gesicht des Bruders von Thomas Gottschalk bietet mir „die Aktie Gelb“ an. Dann bin ich dran.

– „Diesen Brief bitte versenden.“

– „Macht 1,44.“

– „Und noch so eine Briefmarke zum Mitnehmen.“

– „Nein, das geht nicht. Wir verkaufen keine einzelnen Briefmarken hier. Tut mir Leid.“

– „Aber Sie haben doch gerade …“

– „Ich habe frankiert – maschinell. Das geht auch einzeln.“

– „Aber dann muss ich mich ja das nächste Mal wieder anstellen.“

– „Tut mir Leid. Briefmarken zum Mitnehmen gibt es im Block, mindestens zehn Stück.“

– „Ich habe nur noch zehn Euro im Portemonnaie.“

– „Tut mir Leid.“

– „Wenn ich einen Kredit für 50.000 Euro aufnehme, die Briefmarken kaufe und den Rest in gelben Aktien anlege?“, versuche ich zu scherzen.

– „Wir müssen erst eine Schufa-Auskunft einholen.“

– „Verdammt, eine Briefmarke, bitte! Sie sind doch die Post, Mann!“, schrie ich ihn an.

– „Nein“, antwortete er ruhig und klang dabei ehrlich betrübt: „Wir sind die Deutsche Post AG. Tut mir Leid.“

Sofortkredit über 50.000 Euro? kolumne@taz.de Montag: Stefan Kuzmany GONZO