„Ich war ja kein einsamer Rebell“

Im Fall eines SPD-Wahlsiegs will der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel als Arbeitsminister an der Seite von Peer Steinbrück „innerhalb der ersten Monate“ dafür sorgen, dass der Mindestlohn eingeführt wird

■ 60, ist der Mann für Arbeit und Soziales im Kompetenzteam – Neudeutsch für „Beratergruppe“ oder „Schattenkabinett“ – des SPD-Spitzenkandidaten Peer Steinbrück. Als Steinbrück ihn im Willy-Brandt-Haus vorstellte, sprach er von dem „in der Wolle gewaschenen Gewerkschafter“.

■ Wiesehügel ist gelernter Betonbauer und studierte 1975/76 an der Sozialakademie Dortmund Arbeitsrecht, Soziologie und Wirtschaft. Im kommenden Herbst wollte er eigentlich als Vorsitzender der IG Bau für weitere vier Jahre kandidieren. Er ist dort schon seit 18 Jahren Chef.

■ Vor sieben Jahren hat Wiesehügel über die Agenda 2010 noch gesagt, sie bedeute „Malochen bis zum Umfallen und dafür noch bestraft werden“. Die Agenda bestimmt nach wie vor die Arbeitsmarktpolitik.

■ Wiesehügel telefoniert derzeit „jeden Tag“ mit seiner Frau, „mehr als zwei Minuten. Nur die Freunde kommen etwas zu kurz.“

INTERVIEW HANNA GERSMANN
UND ANJA MAIER

taz: Herr Wiesehügel, als offiziell bekannt wurde, dass ausgerechnet Sie in Peer Steinbrücks Schattenkabinett antreten – was haben da Ihre Kollegen von der IG Bau gesagt?

Klaus Wiesehügel: Viele haben das Wort „Stolz“ benutzt. Stolz, dass ihr Vorsitzender gefragt wurde und dass er diese Aufgabe übernehmen will. Das hat mich gefreut.

Sie als Gewerkschafter – müssten Sie die Regierung nicht eher vor sich hertreiben, als Teil der Macht zu werden?

Diese Gewerkschaft existiert ja nicht nur durch meine Person. Es wird einen neuen Vorsitzenden geben, und der wird treiben, so wie ich das immer gemacht habe.

Hat denn niemand gesagt: Mensch, Klaus, lass das – das sind doch die, die die Rente mit 67 durchgesetzt haben?

Kein Einziger. Die haben gesagt, wenn unsere Interessen erfolgreich wahrgenommen werden, dann durch deine Person.

Wegen Gerhard Schröders Agenda-Politik haben viele die SPD verlassen. Sie nicht. Warum?

Das kam mir nie in den Sinn. Ich war mit meinen Positionen zur Agenda ja kein einsamer Rebell, es gab immer eine breite Diskussion. Der habe ich durch meine Doppelrolle als früherer Abgeordneter und Gewerkschaftsvorsitzender ein Gesicht gegeben. Auch wenn man unterschiedliche Positionen hat, ist das kein Problem.

Bei der Linkspartei wurde nicht so diskutiert, dass es Ihnen gefallen könnte?

Diese Partei besteht aus zwei Welten. Einerseits sind da die Empfange-und-gehorche-Leute, andererseits die, die eher chaotisch sind. Deshalb kommt die Linke auch auf keinen grünen Zweig.

Einen leicht chaotischen Eindruck macht die SPD ja auch gerade.

Ich sehe das nicht. Dass es in der Partei mal Diskussionen über die Sache gibt, ist doch völlig normal.

Von 1998 bis 2002 saßen Sie für die SPD im Bundestag. Als scharfer Kritiker der Arbeitsmarktreformen waren Sie eher isoliert.

Es gab unterschiedliche Positionen, ja. Aber wir haben gemeinsam einige Punkte schon wieder verändert.

Niedriglöhne, Minijobs, Leiharbeit – das ist alles noch da!

Das ist ja die Triebfeder für mich: dies wieder zu verändern. Werde ich Arbeitsminister, soll mir innerhalb der ersten Monate der Mindestlohn gelingen.

Trügt das Gefühl, Sie würden im Wahlkampf als eine Art Reformreformer nach vorn geschoben?

Mein Job ist es, zu erklären, dass die SPD umsetzen will, was sie in ihr Wahlprogramm geschrieben hat – das ist die zukunftsgerichtete Politik der SPD, hinter der ich voll und ganz stehe. Die Reform der Reform kann nur machen, wer in dieser Diskussion glaubhaft ist.

Wie ist ihr Verhältnis zu Peer Steinbrück?

Hervorragend, er ist ein spannender, interessanter Mann.

Verkörpert er das Wahlprogramm?

Ich habe mich lang mit ihm unterhalten. Für alle Punkte, für die ich stehe, steht er auch. Er lässt mich jetzt nicht laufen, um später eine andere Politik zu machen.

Stimmt es, dass Steinbrück Ihnen – anders als anderen Kompetenzteammitgliedern – eine Ministergarantie gegeben hat?

Er hat zu mir gesagt, dass ich dieses Ministerium übernehmen werde, wenn er Bundeskanzler wird. Medien haben das dann Garantie genannt.

In diesen Tagen muss man die Frage stellen: Warum tun Sie sich das an?

Ich tue mir nichts an. Es ist für mich überhaupt keine Belastung. Ich finde diesen Gedanken spannend: Du kannst wirklich agieren. Das bringt Adrenalin. Wir wollen so viele Menschen wie möglich in gute Arbeit bringen und Arbeit aufstöbern, die nicht anständig bezahlt wird oder in Praktika versteckt ist.

In einem Geschäft in Berlin hing neulich ein Schild: „Langfristige Praktikantin gesucht“ – was tut der Arbeitsminister dagegen?

Das geht überhaupt nicht. Eigentlich geht es schon nicht, dass man von einem Praktikum ins nächste geschoben wird, gegebenenfalls sogar im selben Unternehmen.

Sie wollen Kettenpraktika verbieten?

Praktika mögen ihren Sinn haben, wenn man sagt, ich möchte da mal reinriechen für ein paar Tage …

gut die Hälfte der Praktikanten sind laut dem Praktikantenreport 2012 des Portals „meinpraktikum.de“ mit ihren Einblicken in die Arbeitswelt zufrieden …

Es ist aber auch möglich, dass sich Nachwuchskräfte und Unternehmer kennenlernen, wenn sie einen ganz normalen Arbeitsvertrag mit normaler Vergütung abschließen. Die Probezeit ist immer noch Bestandteil unserer Arbeitsverhätnisse. Eigentlich braucht man keine Praktika.

Sie schaffen Praktika ab?

Ich will sie nicht gleich verbieten. Aber Missbrauch will ich schon einschränken. Und im Zuge dessen schaffen wir auch die sachgrundlose Befristung ab.

Das sind Verträge, die ohne triftigen Grund auf zwei Jahre befristet sind. Die gibt es aber sogar im öffentlichen Dienst.

Darum werden sie nicht richtiger. Tatsächlich bekommt heute fast jeder zweite neu eingestellte Arbeitnehmer nur einen befristeten Vertrag. Dafür kann es Gründe geben: die klassische Vertretung für Leute in Mutterschutz oder Elternzeit. Aber Arbeitsverhältnisse auf Zeit einfach so – das ist nicht akzeptabel. Die Leute müssen immer bange sein, was wird.

Viele retten sich vor der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit. Nur zahlen sie oft nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Was erwartet diese Leute im Alter?

Nun, sie sollen nicht einfach 850 Euro Mindestrente bekommen, sie sollen auch Beiträge zahlen.

Aber wie wollen Sie dies durchsetzen?

Im Moment wird der Betroffene sagen: Oh Gott, das soll ich auch noch aufbringen? Macht er das aber nicht, muss später die Gemeinschaft dafür haften. Das geht auch nicht. Arbeitnehmer müssen sich schließlich auch an der Sozialversicherung beteiligen.

Können Sie die Rente mit 67 überhaupt zurückdrehen?

Das steht so in unserem Programm. Voraussetzung: Über die Hälfte der 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmer sind nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Also wenn die Mehrheit dieser Altersgruppe ohnehin keinen Job hat …

Das müssen wir uns 2014 anschauen. Wenn Unternehmen über 60-Jährigen kaum eine Chance geben, werden wir handeln. Natürlich ist dann die Frage, welche Zahlen man zugrunde legt. Ich gehe aber davon aus, dass das Arbeitsministerium darüber die Hoheit hat.

Was bieten Sie als Arbeitnehmervertreter im Kompetenzteam eigentlich Arbeitslosen?

Ich habe mich bis vor sechs Wochen darum gekümmert, wie es den Bauarbeitern besser gehen kann, was für Tarifverträge wir abschließen. Ich denke jetzt darüber nach, wie viel ein Sozialminister konkret in anderen Bereichen bewegen kann, ohne gleich ein ganz großes Gesetzesvorhaben zu machen. Aber keine Sorge, wir werden sinnvolle Vorschläge machen.

Ihre erste Idee?

Ich habe einen Termin mit dem Chef der Arbeitsagentur, Frank-Jürgen Weise. Mich interessiert, wie es in den Jobcentern läuft. Was ist mit den Kindern der Hartz-IV-Empfänger? Da droht eine ganze Hartz-IV-Generation.

Wenn Sie mit Ihren neuen Ideen dann so weit sind, war die Linkspartei schon seit 15 Jahren vor Ort und holt diese Leute ab.

… und verspricht Dinge, die sie nie einlösen muss. Es ist eine Sache, vor Ort anzutreten. Es ist eine andere, die Rahmenbedingungen zu verändern. Die SPD will, dass es gar nicht erst zum Elend kommt. Darum werde ich auch nicht als Erstes die Hartz-IV-Sätze erhöhen.

Sondern?

Als die Agenda 2010 entwickelt wurde, haben wir gesagt: Jeder ist ein Fall, der begleitet werden muss. Das scheint nicht zu klappen. In den Jobcentern sitzen ja mitunter Leute, die sagen: Ich bin selber nur befristet hier.

Sie wollen befristete Verträge in den Arbeitsagenturen entfristen?

Mal sehen. In erster Linie brauchen wir Ausbildungsplätze. 1,5 Millionen junge Menschen sind mittlerweile ohne Berufsausbildung. Da droht ein riesiges generationenübergreifendes Problem.

Wie soll das alles finanziert werden? Haben Sie schon mit Peer Steinbrück über Geld geredet?

Im Unterschied zu dem der CDU/CSU ist unser Regierungsprogramm auch finanziert.