Danke für das Wort, Herr Präsident!

Parlamentarische Demokratie ist mehr als geschniegelte Umgangsformen, stellen Zehntklässler bei der Simulation des Europa-Parlaments fest. Radikale Antwort auf illegale Einwanderung: Legalize it – und wenn das Boot voll ist: Schotten dicht

Bremen taz ■ Die Rednerin holt kurz Luft, und schon schnellen die Schilder in die Höhe. „Luxemburg“ meldet sich zu Wort, „Tschechien“ und „Polen“. Na, so geht das aber nicht. „Die Schilder bitte unten lassen, bis die Frage gestellt ist“, ordnet Parlamentspräsident Andreas Sowa lässig an. Gehorsam senken die Mitglieder des Ausschusses „Innenpolitik und Bürgerrechte“ die Arme, um sie Sekunden später erneut zu stecken. „Danke für das Wort, Herr Präsident“, beginnt der aufgerufene Redner artig.

„Jetzt bedanken sich die Schüler schon im Unterricht für das Wort, nachdem wir zwei Tage lang die Umgangsformen geübt haben“, verrät Christa Bauerschmidt, Lehrerin am Herrmann-Böse-Gymnasium. Ihre Schüler übernahmen am Freitag für einen Tag den Job der EU-Parlamentarier, diskutieren über Arbeitslosigkeit und Terror-Prävention, alternative Energien und Drogenmissbrauch.

So viel Eleganz hat die Bürgerschaft wahrscheinlich selten gesehen: Dunkle Anzüge und Kostüme, Krawatten und Seidentücher, wohin man blickt. Für Felix Hermann, Zehntklässler und Nachwuchspolitiker im Beirat Schwachhausen, macht schon dieses Ambiente einen Reiz des Planspiels „Modell Europa Parlament“ (MEP) aus.

Der Ausschuss „Innenpolitik und Bürgerrechte“ hat eine Resolution zur Einwanderung vorbereitet. Zwei Tage lang haben die Deputierten den Status quo analysiert, sich über die Problematik in den von ihnen vertretenen Ländern informiert und ihre Schlüsse gezogen. Bildungs- und Sprachdefizite, Gettoisierung und Kriminalität haben sie als Integrationshürden ausgemacht. Weiter: „Durch Beschäftigung der Immigranten steigen die Arbeitslosenzahlen der Mitgliedsstaaten.“ Auch derart gewagte wie gelassen niedergeschriebene Thesen machen Demokratie erlebbar: So schnell werden Stammtischparolen im wohlformulierten Gewand salonfähig.

Der Ausschuss bietet eine ganze Palette von Lösungen an: Multikulti-Begegnungsstätten und Jugendarbeit, Pflicht-Sprachkurse und Staatsbürgerkunde für Migranten. Mit illegaler Einwanderung wird kurzer Prozess gemacht: Alle Illegalen, die schon im Land sind, werden legalisiert, „um einen besseren Überblick über die in den Mitgliedsstaaten Lebenden zu erhalten“. Dann werden die Schotten dicht gemacht, Küsten- und Grenzbewachung verstärkt. „Wir können nicht die ganze Erdbevölkerung aufnehmen“, argumentiert ein Delegierter.

In der offenen Debatte fallen die Parlamentarier über die Resolution her. „Wir sollen die Einwanderer legalisieren, damit wir wissen, wie viele es sind? Das wäre so, als würden wir Drogen legalisieren, damit wir wissen, wie verbreitet Drogenkonsum ist!“, schimpft ein Abgeordneter. Die Zehntklässler gebrauchen Sprach- und Umgangsformen virtuos. Begriffe wie „Legalisierung“ mit Inhalt zu füllen, fällt schwerer. Unbefristeter Aufenthalt? Arbeitserlaubnis? „Und was wird aus den Migranten, die die Prüfung am Ende des Sprachkurses nicht bestehen?“, wird im Plenum gefragt. Die könnten ja privat Nachhilfestunden nehmen, schlagen einige vor, und die Prüfung so lange wiederholen, bis sie es gepackt haben.

Nach der Debatte wird abgestimmt. Eine einfache Mehrheit kann sich für die Resolution erwärmen. Die Ausschussmitglieder fühlen sich ein wenig missverstanden. „Es ist wohl nicht ganz rübergekommen, dass wir es gut finden, wenn neue Leute einwandern“, überlegt die Delegierte für Tschechien.

Annedore Beelte