Die Causa Snowden und der Sound des Kalten Krieges

GROSSMÄCHTE Im Streit um den Whistleblower wird der Ton zwischen Moskau und Washington schärfer

MOSKAU/WASHINGTON taz | Der flüchtige US-Geheimdienstexperte Edward Snowden hält sich nach Angaben des Moskauer Flughafens Scheremetjewo weiter im dortigen Transitbereich auf – zur Freude von Russlands Präsident Wladimir Putin.

Offiziell vermittelt der zwar den Eindruck, er wisse mit dem dicken Fisch, der Moskau angeblich unerwartet ins Netz ging, nichts anzufangen. „Je schneller Snowden sein Reiseziel wählt, umso besser für ihn und für Russland“, so Putin. Russische Experten aber meinen, Moskaus Geheimdienst hätte nichts dagegen, wenn sich der IT-Spezialist im Flughafen niederließe.

Ob Putins Aufklärer bislang der Verlockung widerstehen konnten, den 30-Jährigen anzuzapfen, wird unterschiedlich eingeschätzt. Der Politologe Dmitri Oreschkin bezweifelt bereits, dass Russland nicht über Snowdens Anreise informiert gewesen sei. „Snowden hat etwas, was sich scheren lässt“, so Oreschkin in Anspielung aus Putins Äußerung: „Wenn Du ein Ferkel scherst, ist das Gequieke groß und die Wolle wenig.“

Abgesehen von Datenschätzen wird der Prism-Informant auch als Retourkutsche für die US-Kritik am Demokratiedefizit in Russland eingesetzt: Snowden und Wikileaks-Gründer Julian Assange seien Bürgerrechtler, die für Informationsfreiheit kämpften, so Putin: „Darf man solche Leute ausliefern, damit sie im Gefängnis landen?“

Der Frage werden auch westliche Kritiker zustimmen. Der Journalist und Geheimdienstexperte Andrei Soldatow gibt dagegen zu bedenken, dass Russland zu den Staaten gehöre, die an einem „souveränen Internet“ arbeiteten, in dem die Server nicht nur überwacht, sondern vom Geheimdienst gestellt werden.

Moskau wird Snowden nicht ausliefern – ist aber auch nicht an dessen Bleiben interessiert, meint Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow. Denn ein Asyl in Russland hinterließe einen ständigen Stachel in den russischen Beziehungen zu USA. Und dass Moskau Washington nicht als Verbündeten sieht, habe man bereits glaubhaft vermittelt.

Trotzdem geben die USA nicht auf. Nachdem Drohungen, Belehrungen und Beleidigungen an die Adresse Moskaus statt einer Auslieferung Snowdens nur eine Verschlechterung des Verhältnisses bewirkt haben, versucht Außenminister John Kerry es nun mit Diplomatie und appelliert an das „Co-Mitglied des Weltsicherheitsrates“. Er hoffe, dass Moskau sich nicht an die Seite des Gesetzesbrechers stelle, sondern ihn „als souveränes Land“ ausliefere, so Kerry.

Zusätzlich hat Washington seinen früherer Botschafter in Moskau, William Burns beauftragt, hinter verschlossenen Türen zu verhandeln. Seit Mittwoch versucht er in Russland, doch noch eine Auslieferung des Whistleblowers zu erreichen.

Die russische-amerikanischen Beziehungen sind nicht nur wegen Snowden angespannt. In Syrien stehen beide auf unterschiedlichen Seiten und auch die Haltungen zur atomaren Abrüstung sind unterschiedlich. Aber: Erst der Whistleblower hat dafür gesorgt, dass der Ton scharf wurde.

Angesichts der für die USA offenbar völlig unerwarteten Weigerung sowohl Chinas als auch Russlands, Snowden auszuliefern, hat Washington auf beide Länder eingedroschen. Vor allem demokratische Politiker – darunter der New Yorker Senator Charles Schumer und die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein – drohten „Konsequenzen für die bilateralen Beziehungen“ an.

Am Dienstag versuchte Washington nun, den Rückwärtsgang einzulegen. „Wir wollen nicht, dass diese Frage unsere bilateralen Beziehungen negativ beeinflusst“, so Caitlin Hayden vom National Security Council. An der nicht erbetenen Rechts-Belehrung für Moskau hielt sie aber fest. Es gäbe „eine klare legale Grundlage, um Herrn Snowden abzuschieben“ – und zwar die Reisedokumente des flüchtigen Whistleblowers, die Washington für ungültig erklärt hatte, sowie die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. KHD,DORA