BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Auf den Putz hauen mit Starkreiniger

Nach meinem Besuch in einem „Vorwendeladen“ weiß ich weniger als zuvor, woher ich komme

Woher kommt der Mensch? Wohin geht er? Manchmal möchte man das wissen. Nur ist es gar nicht so einfach, Antworten auf diese Fragen zu finden. Da traf es sich gut, als ich neulich in meinem kostenlosen Bezirksblättchen einen Artikel über einen gerade eröffneten „Vorwendeladen“ entdeckte. Neugierig las ich den Text unter der Überschrift „60 Quadratmeter DDR“.

Ich erfuhr von einem 61-jährigen Bauingenieur, der vor einigen Jahren arbeitslos wurde. Weil er in seinem Alter keine Anstellung mehr fand, beschloss er, seine Vergangenheit zu seiner Gegenwart zu machen und Gegenstände aus der DDR zu verkaufen. Mit Erleichterung las ich, dass der Mann das Geschäft nicht als Nostalgieveranstaltung verstanden wissen will. „Hier geht es nicht um irgendwelche Verklärung“, wurde er zitiert, „sondern um eine Erinnerung an Dinge, die lange Zeit das Leben vieler Menschen bestimmt haben“. Dagegen gibt es nichts zu sagen. Ich ging hin.

Wenige Meter vom Bersarinplatz entfernt, benannt nach dem ersten sowjetischen Stadtkommandanten Berlins, leuchtete ein grünes Schild „Ankauf & Verkauf DDR. Der Vorwendeladen“. Im Schaufenster wurde „exclusiv eine Tasse Rondokaffee“ für 90 Cent angeboten, serviert mit Geschirr aus dem Palast der Republik, der gerade abgerissen wird. In Anspielung auf „Jakob’s Krönung“ aus dem Westen wurde der mit Malz und Zichorie gestreckte Kaffee aus dem Osten „Honeckers Krönung“ genannt. Vorsichtig betrat ich das Geschäft.

Es sah aus wie in einem sehr aufgeräumten Trödelladen. In Regalen, Schrankwänden und auf Tischen stand und lag fein säuberlich ein Teil meines Lebens zum Verkauf. Bücher, Spiele, Geschirr, Hallorenkugeln, Hansakekse, Schlagersüßtafel, Eberswalder Würstchen, was wir damals so hatten. Wenn es was gab. Im Hinterzimmer waren unverkäufliche Exponate ausgestellt. Original Plastikeierbecher, „nicht die Kopien von heute“, wie der Mann betonte, original Sandmannfiguren, original Schnapsgläser in lustigen Halterungen. Stolz zeigte er mir sein bestes Stück: das original Drehbuch des Films „Das Kaninchen bin ich“, eine Defa-Produktion aus meinem Geburtsjahr 1964, die vom Zentralkomitee der SED verboten wurde.

Ich fragte den Besitzer, der mit seinem weißen Vollbart ein bisschen wie ein Sandmann aussah, ob er denn mit seinem Vorwendeladen ein Auskommen habe. Er schüttelte den Kopf. An normalen Tagen mache er fünf, sechs Euro Umsatz, an Spitzentagen 50. Er sah nicht so aus, als ob er gerade einen Spitzentag habe. Ich beschloss, etwas zu kaufen. Weil mir das blau-grüne Design gefällt, entschied ich mich für eine Packung des Starkreinigers Imi und zahlte drei Euro für die Aussicht auf die Beantwortung der einen oder anderen Frage nach dem Woher.

Kaum war ich zu Hause, schaute ich mir die Packung genauer an. Ich staunte über den Wertzuwachs von 0,50 DDR-Mark auf drei Euro und wunderte mich über die seltsame Mengenangabe von 688 Gramm, für die ich keine Erklärung fand. Glaubt man aber den aufgedruckten Anpreisungen des „hervorragenden Aufwasch,- Spül- und Reinigungsmittels“, ist jedes Gramm sein Geld wert. Gläser, Flaschen, Kühlschränke, blut- und eiweißbefleckte Wäsche reinigt es „schnell und gründlich“. Kacheln, Fliesen, Spülbecken, Steinböden, Bürsten, Besen reinigt es „spielend leicht“. Zudem ist es ein „ausgezeichnetes Reinigungsmittel“ für stark verschmutzte Berufswäsche, das auch Ruß, Schmutz, Fett und Öl entfernt.

Die Packung Imi steht jetzt in meinem Bad neben einer Packung des Putz- und Scheuermittels „Quasi“, das ich vor einigen Jahren auf einem Flohmarkt gekauft habe. „Quasi“, der „unentbehrliche Helfer im Haushalt“, ist eine ähnliche Allzweckwaffe. Es reinigt Steinzeug, Porzellan, Emaille, Metall und Holz.

Ich bin mir nicht sicher, ob sich die drei Euro wirklich gelohnt haben. Kann es wirklich sein, dass ich aus einem Land komme, in dem nichts unter den Teppich gekehrt wurde? Wahrscheinlich wurde nur auf den Putz gehauen.

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