Street-Art unter Plexiglas

KUNSTBEGRIFF In der Hamburger City hängt ein echter Banksy an einer Straßenecke

Wenn Street-Art-Künstler berühmt werden, wenn sie den Sprung von der Straße in die Galerie, von draußen nach drinnen geschafft haben, dann sind die Werke, denen sie ihren Ruhm verdanken, in der Regel nicht mehr da. Sie wurden übersprayt, übermalt, mit Plakaten überklebt, wenn nicht die Wand oder das Haus, das Untergrund bot, längst abgerissen ist.

Aber es gibt Ausnahmen. In der Steinwegpassage in der Hamburger City, in einer Mischung aus Fußgängerweg und öffentlich begehbarem Innenhof, bewahrt die an der Alster ansässige Spiegelberg-Stiftung offensiv einen echten Banksy. Gut zwei Zentimeter ist die Plexiglasscheibe dick, die sie schützend vor das Graffito hat schrauben lassen. Es soll das letzte seiner Art in der Hansestadt sein.

2002 soll der britische Street-Artist Banksy (sein Vorname wird mal als Rob, als Robin oder als Robert gehandelt) beim damaligen „Urban discipline“-Festival in Hamburg geweilt und hier auf einem grauen, funktionalen Betonpfeiler seine Schablone angesetzt haben. Dann drückte er auf den Sprühkopf einer Dose mit schwarzer Farbe und eines der ersten seiner „Bomb Hugger“ entstand: Unverkennbar ein Mädchen mit Pferdeschwanz. Im Rock, in Kniestrümpfen und in Riemenschühchen steht es da und hält eine Bombe in den Armen.

Darunter ist in Blockbuchstaben Banksys Signatur „banksy“ zu lesen: ein Original. Das Motiv hat später als limitierter Druck bei Sotheby’s Tausende von Pfund erbracht; auch gibt es es als Aufdruck auf dem Kapuzenpullover im gängigen Internethandel.

Warum hat Banksy gerade hier in einem unspektakulären Innenhof sein Bild hinterlassen? Neben einem Frisör, einer Änderungsschneiderei und einem Döner-Imbiss, an einem Ort, wo den verschnörkelten Altbauten nüchterne Wohnungsblocks der städtischen Genossenschaft Saga gegenüberstehen und kleine, weiße Blechschilder über deren Hauseingängen darauf hinweisen, dass hier das Fußballspielen verboten ist? Vielleicht genau deswegen.

Es ist eine klassische Fliegerbombe, die das Mädchen da umarmt. Zweiter Weltkrieg, der Vietnam-Krieg fallen einem dazu ein; Dokumentaraufnahmen in Schwarz-Weiß, wie solche Bomben zu Dutzenden in scheinbar aller Ruhe der Erde entgegen trudeln. Heute hält die in niedriger Höhe kreisende Drohne unsere Vorstellungen vom Krieg besetzt. Banksys Mädchen mit der Bombe in seinen Armen wirkt da auf eine anrührende Weise antiquiert.  FRANK KEIL