Umarmung des Kreuzes

Viel Leben, wenig Reflexion: Das Heinrich-Heine-Biopic „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ (21.30 Uhr, Arte)

Der Mann ist krank, schwer krank, der schafft es nicht mal mehr allein von der Toilette, eine Haushälterin muss ihn auf ihrem Rücken zurück zum Bett schleifen. Die Träume aber, die sind ihm geblieben, etwa der, einen herrlichen Sommertag mit der jungen Else am Meer zu verbringen, sie zu küssen und ihr zu versichern, keine Angst vor dem Tod zu haben. Der alte Zausel, das ist Heinrich Heine, wie ihn sich Gordian Maugg in seiner Filmbiografie imaginiert und von Rüdiger Vogeler darstellen lässt: gramgebeugt, leidensgeplagt, als Schmerzensmann.

Heine zwischen Traum, Realität und Jenseits, so beginnt Mauggs Film, und die Realität ist die berühmte Matratzengruft, in der Heine sich noch einmal an sein Leben erinnert. Anlass dafür ist der Besuch seines Bruders Gustav und des Verlegers und Freundes Julius Campe, die mit ihm seine letzten Angelegenheiten klären und als Stichwortlieferanten dienen. Ein gängiger Kniff, ein Dichterleben zu erzählen, um dann schön chronologisch Lebensstation für Lebensstation anfahren zu können: der kleine Heine in Düsseldorf, der als Jude von Straßenjungs gehänselt und von einem Pfaffen verprügelt wird; der junge Heine in Hamburg, hübsch undurchsichtig gespielt von Fabian Busch, dessen Eltern und dessen Cousine Amalie bei Onkel Salomon Rede und Antwort stehen müssen, weil er sich Amalie unzüchtig genähert hat; Heine, wie er in Göttingen seinen zukünftigen Intimfeind Ludwig Börne kennen lernt und von der Universität verwiesen wird; Heine auf Harzreise; und Heine, wie er ganz am Ende mit seiner „Mouche“, seiner letzten, von der Ehefrau geduldeten Liebe, auf dem Totenbett herumzärtelt.

Naturgemäß geht Mauggs braungelbstichiger Film nicht in besonders reflexive Tiefen, verlieren sich in einer solchen Filmbiografie die durchaus vorhandenen Details wie etwa Heines Beziehung zur Mutter. Obwohl hier der „Mensch“ Heine „frei und natürlich das ausspricht, was ihn bewegt“, wie der Arte-Waschzettel rühmt, und neben den obligaten „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ oder „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“ auch andere Heine-Zeilen zum Besten gegeben werden, sind die Kennmarken doch andere: Heines unschöner Besuch bei Goethe („Ich schreib an einem Faust!“), seine stürmische Umarmung eines Kreuzes, die zur Taufe führt, oder der Champagner und Austern schlemmende Heine, der sich mit dem asketischen Börne in einem Pariser Restaurant auseinander setzt und kurz darauf Mathilde, seine spätere Ehefrau kennen lernt.

Statt Verfeinerungen regieren die Verkürzungen, statt der Innenansichten des Dichters dominiert der Erlebnisreichtum. Das geht in Ordnung, muss beim Fernsehen vielleicht auch so sein. Schließlich traut sich nicht jeder gleich, Heine auf ein junges Mädchen auf der Kastanienallee im heutigen Berlin treffen zu lassen, ein Mädchen, das Kunst studiert, nicht „Bewirtschaftung“, und nur für die Kunst und mit Heine ein Leben in einem unheimlich schönen und freien Deutschland führt. So einen Heine sich erträumen, das kann nur Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek. GBA