Nach Weichspülgang zugestimmt

Das Europaparlament hat die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet

BRÜSSEL taz ■ Das Europaparlament hat gestern der umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie zugestimmt. Die große Koalition von Konservativen und Sozialisten hatte gehalten, 391 Abgeordnete beschlossen das Gesetz in seiner abgemilderten Form. Dagegen stimmten 213 Parlamentsmitglieder. Grünen und Linkspartei geht die Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte zu weit. Sie kritisieren, dass der Text an vielen Stellen widersprüchliche Auslegungen zulässt.

Denn das ursprünglich im Gesetz vorgesehene Herkunftslandsprinzip, wonach Dienstleister überall in der EU nach den Vorschriften ihres Heimatlandes arbeiten, ist gestrichen. Gewerkschaften und soziale Protestbewegungen wie Attac hatten diese Regelung abgelehnt. Sie befürchteten, dass schlechte Sozialstandards und niedrige Löhne überall in der EU zum Maßstab werden könnten. Aus dem gleichen Grund befürworten osteuropäische Politiker das Herkunftslandsprinzip, weil es die Chancen ihrer Dienstleister in Westeuropa verbessert hätte. Statt Herkunftslandsprinzip gilt nun „die Freiheit, Dienstleistungen anzubieten“. Darauf können sich ausländische Anbieter berufen, wenn sie sich bürokratischen Schikanen, unerfüllbaren Auflagen oder langwierigen Zulassungsprozeduren ausgesetzt sehen.

Derartiger Streit wird aber künftig die Gerichte beschäftigen, weil die nun gewählte Formulierung juristisch nicht so klar ist wie das Herkunftslandsprinzip. Der Vorteil besteht aber darin, dass eine Musterklage ausreicht, um Klarheit für eine Berufsgruppe oder eine Verwaltungsvorschrift zu bekommen. Bislang musste jeder Handwerker einzeln den Klageweg bis zum EuGH durchstehen, um sich Zugang zu einem Arbeitsmarkt zu erzwingen.

Zeitarbeitsagenturen, Gesundheitsdienste, Sozialdienste wie Kindergärten oder sozialer Wohnungsbau, Glücksspiel und Sicherheitsdienste fallen gar nicht unter die neue Richtlinie. Ausgenommen sind auch alle Berufe und Fragen, die bereits durch eigene Richtlinien geregelt sind, zum Beispiel Berufsqualifikation oder die Entsendung von Arbeitnehmern. Die bis zuletzt heiß umstrittenen „Dienste von allgemeinem Interesse“ wie Gasversorgung, Nahverkehr oder Schulen darf jedes Land selber festlegen. Wenn zum Beispiel in Deutschland das staatliche Schulwesen zur Daseinsvorsorge gehört, die Müllabfuhr aber nicht, dann dürfen für staatliche Lehrer weiterhin besondere Auflagen gelten, für Entsorger müssen sie entfallen.

Die Richtlinie soll das Wirtschaftswachstum ankurbeln und neue Arbeitsplätze schaffen. In der EU arbeiten bereits 116 Millionen Menschen im Dienstleistungssektor. 600.000 weitere Jobs seien möglich, sagen Experten. Vor 2011 wird es damit allerdings nichts. Denn das Gesetz muss nun von der Kommission neu formuliert, von den Regierungen im Rat angenommen und dann vom Europaparlament endgültig beschlossen werden. DANIELA WEINGÄRTNER