Beim Barte des Propheten

Der Karikaturen-Streit nutzt repressiven Machthabern: Zeitung in Marokko unter Beschuss, in Wolgograd dicht

Die Karikaturen-Krise kommt so manchem Machthaber wie gerufen. Es reicht schon ein Gerücht, um die oppositionelle Presse in Bedrängnis zu bringen. Das weiß der Herausgeber der unabhängigen marokkanischen Wochenzeitung Le Journal, Abukakr Jamai, nur zu gut. Seit aus unbekannter Quelle die Behauptung verbreitet wurde, sein Blatt habe die Mohammed-Karikaturen veröffentlicht, reißen die Protestdemonstrationen vor dem Verlagsgebäude in Casablanca nicht mehr ab. Nur: Le Journal hatte gar keine Karikaturen nachgedruckt.

Dafür ist im russischen Wolgograd mittlerweile die Zeitung Gorodskije Westi wegen der Veröffentlichung einer Karikatur mit diversen Religionsstiftern inklusive Mohammed (taz vom 16. 2.) geschlossen worden. Dass die Karikatur tatsächlich zur Toleranz aufrief, interessierte nicht. Und der regionale Ableger der Kremlpartei, der den Protest gegen das Kreml-kritische Blatt initiierte, hat sein Ziel erreicht.

Auch in Marokko ist sich Le-Journal-Chefredakteur Jamai sicher: „Dahinter steckt jemand von ganz oben aus der Regierung“. Denn von Anfang an begleitete das staatliche Fernsehen die „spontanen Bürgerproteste“ mit seinen Kameras und nannte Le Journal eine „für ihre Angriffe auf die heiligen Werte unseres Landes bekannte Publikation“. Die staatliche Nachrichtenagentur MAP rief nach den ersten Protesten zahlreiche Politiker an, um sie zu befragen, was sie von Le Journal und der Veröffentlichung der Karikaturen halten. Jamai, der eine Schließung seiner Redaktion befürchtet, will gar beobachtet haben, wie Fahrzeuge des Innenministeriums und der Gemeindeverwaltung von Casablanca Demonstranten zum Verlagsgebäude gefahren haben. REINER WANDLER