Russland

Kulturtourismus

Susdal und das dicht benachbarte Wladimir, 180 Kilometer östlich von Moskau, beherbergten im alten Russland vor allem Klöster. Alisa Aksjonowa (75) ist seit 46 Jahren Generaldirektorin der Museen beider Städte. Heute herrscht sie über 54 überwiegend sakrale Gebäude. Als sie Ende der 1950er-Jahre anfing, sich um die Bauten zu kümmern, standen die meisten leer oder wurden als Lagerhallen missbraucht. Im ungeheizten Bus fuhr sie damals über die Dörfer und bat die Bauern um nach der Revolution versteckte Ikonen und alte Gebrauchsgegenstände für ihre Ausstellungen. Jetzt hat ihr Territorium offiziell den Status eines Reservats. Zehn Gebäude wurden von der Unesco als Teil des Weltkulturerbes anerkannt.

taz: Wie geht es Ihren Museen denn so?

Alisa Aksjonowa: Wir führen ein normales Leben. 1998 erhielten wir den Titel „Besonders wertvolles Objekt des russischen Kulturerbes“, und das garantiert uns eine erträgliche Finanzierung. Im selben Jahr noch fingen wir an zu restaurieren. In den zehn Jahren politischer Wirren vorher, als wir oft nicht einmal Strom und Gas bezahlen konnten, war so manches Fundament ins Wackeln geraten.

 Wollte sich die Kirche nicht selbst darum kümmern?

Die Kirche hatte 1996 alle Gebäude und Bestände von uns zurückgefordert. Aber wir haben gekämpft und letztlich nur 19 Gebäude abgeben müssen. Schon das war für uns schwer. Wir haben auf diese Weise einige gute Museen verloren. Und ein Gotteshaus verwalten und es als Museum erhalten sind verschiedene Dinge. Für die Ikonen und Fresken muss man zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit kontrollieren. Glücklicherweise haben wir einen Bischof mit Realitätssinn. In Susdal mit seinen 11.000 Einwohnern verfügt die Kirche jetzt über zwanzig Gotteshäuser, aber nur in sechs von ihnen können Gottesdienste abgehalten werden, denn es gibt nicht genug Gläubige.

 Früher soll es in Russland viele Städtchen wie Susdal gegeben haben.

Schöne Städte schon. Aber wo gab es auf engstem Raum 90 Kirchen, davon mehrere aus dem 12. Jahrhundert? Das gab es nur hier. Irgendwie hat die Geschichte diese Stadt verschont. Die Susdaler Kaufleute waren gegen eine Eisenbahnlinie hierher: zu viel Krach! Zum Glück gibt es hier keine Bodenschätze. Und als im 19. Jahrhundert der Kapitalismus boomte, blieb Susdal nur gottgefällige Erde.

 Und der Tourismus?

Zur Sowjetzeit, in den 1980ern, hatten wir jährlich fast zwei Millionen Touristen. Das war meist gewerkschaftlicher Tourismus. Da gab es Aushänge in den Betrieben: Am Sonntag fahren wir hierhin und dorthin. Das kostete nichts, man konnte sich erholen und ein bisschen trinken – wir hatten so unsere Schwierigkeiten mit diesen Gruppen. Nach einem absoluten Rückgang um 1990 sind es jetzt schon wieder über eine Million Touristen jährlich. Leute aus dem ganzen Land bezahlen selbst oder dafür, dass ihre Kinder das hier sehen. Sie suchen hier etwas Geistiges. Schließlich kommen auch immer mehr Ausländer, am meisten Italiener und Japaner.

 Haben Sie keine Angst vor Terroranschlägen?

Geografisch liegen wir näher an Paris als an Tschetschenien. Aber wir sind Teil der Russischen Föderation. Wir haben unsere Maßnahmen ergriffen. In keinem unserer Gebäude bleibt unbemerkt, wer ankommt und mit welchem Gepäck.

INTERVIEW: BARBARA KERNECK