Von der Hölle zur Idylle

BERLINER HINTERHÖFE

Ab 1862 wurde mit dem Hobrecht-Plan eine der größten Mietskasernenstädte der Welt geschaffen

„Heute verläuft die Kampflinie der Verdrängung der Armen durch die Reichen quer durch die Berliner Hinterhöfe.“ Mit dieser steilen These beendete der Stadtsoziologe Harald Bodenschatz die Präsentation der Neuauflage seines Buchs „Städtebau in Berlin – Schreckbild und Vorbild für Europa“ vor wenigen Tagen an der TU Berlin.

Ab und zu die Vogelperspektive einzunehmen, um auf die Entwicklungen einer Stadt zu schauen, kann einen großen Gewinn bringen. Bodenschatz zeigte in einer halben Stunde Vortrag die Stadtgeschichte in groben Linien auf: Wie ab 1862 mit dem Hobrecht-Plan eine der größten Mietskasernenstädte der Welt geschaffen wurde und dabei jene heute so beliebten Altbauquartiere entstanden. Herausgelöst aus ihrem damaligen Machtkontext, verkörpern insbesondere die Hinterhöfe heute nicht mehr soziale Verelendung und Dunkelheit, sondern sind grüne Oasen und kleinteilige soziale Orte der Begegnung.

Damals wurde ein Ring von Wohnvierteln bei maximaler Raumausnutzung rund um die engere Berliner Innenstadt gelegt, anfangs fast ohne architektonische Konzepte, eigentlich nur begrenzt durch die Vorschriften der Feuerwehr – zumindest sollte es möglich sein, in einem Hinterhof eine Feuerspritze zu drehen.

Bald jedoch setzte eine „komplexe Kritik“ an den Hinterhöfen ein, die Zeichnungen von Heinrich Zille gingen um die Welt, der Ruf des Bauhauses nach „Licht, Luft und Sonne“ erschallte, die Nazis träumten von einer „Endlösung des Mietkasernen-Problems“, und die sozialdemokratische Stadtverwaltung verbot 1925 in Berlin sogar den Neubau von Hinterhöfen.

Was die Bomben des Zweiten Weltkriegs nicht schafften, erledigte dann oft die Kahlschlagsanierung der Jahrzehnte nach dem Krieg. Hatte das Hochhausviertel am Hansaplatz seinen Charme als Vorzeigequartier, entstanden bald darauf die sozial verödeten und autogerecht angeschlossenen neuen Viertel wie Gropiusstadt und Marzahn. Erst mit der Hausbesetzerbewegung 1980/81 und den neuen Ideen zur behutsamen Stadterneuerung brachen diese Konzepte. Seitdem kehrt das Bürgertum zurück in die Städte.

Und konkurriert mit „den Armen“ um den Platz in der Innenstadt. Doch dazu, wie „die Armen“ auf diesen „Kampffeldern“ besser munitioniert werden können, fiel Bodenschatz vorerst auch wenig ein. Er beschreibt eben die groben Linien.

CHRISTOPH VILLINGER