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: HUBERTUS GÄRTNER über radioaktiv verseuchte Wildschweine in Detmold

An den Gedanken, dass Lebensmittel oft nicht ganz koscher sind, hat man sich ja fast gewöhnt. Fleisch ist vergammelt, mit Dioxin oder sonst was vergiftet, Säfte enthalten Druckerfarbe und Schokolade Gensoja. Dass Essen auch radioaktiv verseucht sein kann, ist hingegen weitgehend in Vergessenheit geraten. Offenbar zu Unrecht: In der Senne wurden in jüngster Zeit wieder radioaktiv verseuchte Wildschweine geschossen.

Wie der Leiter des staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes Detmold, Manfred Stolz, bestätigt, musste dieser Tage erneut ein junges Tier aus dem Verkehr gezogen werden, weil es zu hohe Cäsiumwerte aufwies. Nach Angaben von Stolz ist dies bereits der dritte Fall in den letzten Wochen. Erst Ende Januar waren in seiner Behörde zwei von Jägern erlegte Frischlinge untersucht worden, die den erlaubten Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm mit 939 und 625 Becquerel überstiegen hatten.

Die Nachrichten über das radioaktiv verseuchte Fleisch bringen nun das Bundesforstamt Senne in die Bredouille. Dessen Leiter, Wolf-Christian Delius, hatte noch Ende Januar Entwarnung in Sachen radioaktiv belastete Wildschweine gegeben. Wenige Stunden später wurde Delius dann von den Hiobsbotschaften aus Detmold überrollt. Nicht ganz zu Unrecht fürchtet das Bundesforstamt Senne jetzt einen starken Einbruch bei der Vermarktung von Wildfleisch.

Die Tatsache, dass in der Umgebung des Truppenübungsplatzes radioaktiv verseuchte Sauen erlegt werden, gab schon mehrfach zu Spekulationen Anlass, dass internationale Truppen hier mit Uranmunition geübt haben könnten. Die Militärs haben das offiziell aber immer bestritten.

Auch Stolz weist diese Begründung ins Reich der Fabel. „Das von uns gefundene Cäsium hat mit Uran nichts zu tun“, sagte er. Die Belastung einzelner Wildschweine gehe mit großer Sicherheit auf den Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 zurück. Damals sei die Senne besonders stark vom radioaktiven Fallout betroffen gewesen. Cäsium, das eine Halbwertzeit von 30 Jahren aufweise, sei „konzentriert ins Erdreich gesickert“ und habe sich dort in Hirschtrüffeln angereichert. Diese Pilzart werde vor allem im Winter von hungrigen Wildschweinen verspeist.

Stolz weist darauf hin, dass auch in anderen Gegenden Deutschlands, etwa dem Bayerischen und dem Pfälzer Wald immer noch radioaktiv verseuchte Sauen geschossen werden. Es sei daher angezeigt, diese Wildart „noch zehn bis 15 Jahre auf Radioaktivität zu untersuchen“.

Die Tatsache, dass nach mehreren Jahren Funkstille nun plötzlich wieder radioaktiv verseuchte Wildschweine im Sennegebiet aufgetaucht sind, versucht der Veterinär aus Detmold damit zu erklären, dass der harte Winter die Ernährungsgewohnheiten der Sauen verändert habe. Das Bundesforstamt Senne hat deshalb nun eine Jagdpause verfügt. Fortsamts-Leiter Wolf-Christian Delius bestätigt, dass die Ostwestfalen bis auf weiteres auf den wilden Leckerbissen verzichten müssen: „Bis zum 1. August werden hier keine Wildschweine mehr geschossen.“