Klar wie ein unverbrauchter Wintertag

TYPOMALEREI Das Münchner Haus der Kunst feiert Ed Ruscha mit einer großen Einzelausstellung

Die Bilder von Ed Ruscha verweisen auf den Gegensatz zwischen der Natur und der Systematisierung der Welt durch die Sprache, die Phänomene in Worte und Worte in Buchstaben zerlegt

VON HANNA SCHMELLER

An einem kalten Morgen gleicht das Münchner Haus der Kunst selbst einem Ed-Ruscha-Gemälde. Grau und aus der Zeit gefallen hebt sich der Bau nationalsozialistischer Machtarchitektur gegen die glitzernde Schneedecke ab, gegen die feinen Muster, die die Bäume des Englischen Gartens in den Himmel ritzen: ein geometrischer Koloss vor tiefblauem Grund. „Ed Ruscha – 50 Jahre Malerei“ ist die Ausstellung überschrieben, die hier noch bis in den Frühling wichtige Hauptwerke des 1937 in Nebraska geborenen Künstlers versammelt.

Die Kunst von Ed Ruscha ist cool und klar wie ein unverbrauchter Wintertag. Lang gezogene Buchstaben und schnörkellose Typografien stellt Ruscha vor beeindruckende Bergkulissen, zoomt die einzelnen Lettern heran wie in einem Comic oder lässt sie verschwimmen, wie sie etwa der Fahrer eines schnell vorbeibrausenden Wagens wahrnehmen würde. Straßenschilder, flache Ebenen, Filmausschnitte und Großstadtszenarien, später auch monochrome oder ineinandergeschobene, verlaufende Farbflächen bilden die Hintergründe für kryptische Botschaften wie „Damage“ oder für Labelnamen wie „Boss“. Die großen grafischen Typografien gleichen einem Ausruf, einer Ansage oder einem Logo. In einem frühen Autoporträt gibt sich der Künstler, der viel Wert auf die korrekte Aussprache seines Namens legte („Ru-shay“), dann selbst zu erkennen: „E. Ruscha“.

Mit 18 Jahren machte sich Ed Ruscha von seinem Heimatort aus über die Route 66 auf den Weg in das zweieinhalbtausend Kilometer entfernte Kalifornien. An dem von Walt Disney unterstützten Chouinard Art Institute, dem heutigen California Institute of the Arts, sollte er Typografie und Grafik studieren. Zeitlebens spielen Buchstaben und grafische Muster, die sich gegen eine nahezu fotorealistisch gezeichnete Kulisse abheben, die Hauptrolle in Ruschas Werk. Bereits eines seiner frühesten Bilder imitiert den Schlag einer Comicfigur in die Magengrube: „OOF“ (1962).

Ruschas Bilder verweisen auf den Gegensatz zwischen der Natur und dem menschlichen Versuch der Systematisierung der Welt durch die Sprache, die Phänomene in Worte und Worte in Buchstaben zerlegt. Unabhängig von ihrer Größe sind die Buchstaben immer dominierend. Die Lettern scheinen vor dem Hintergrund zu schweben, werden zu buchstäblich losgelösten und völlig eigenständigen Objekten, die sich niemals ganz in das Abbild der Wirklichkeit einfinden können. Der Hintergrund ist immer auch Motiv und niemals bloße Kulisse. Und auch das Thema Film beschäftigt Ruscha: In den akribischen Bergdarstellungen der „Mountains“-Serie spielt er auf das Logo des Filmhauses Paramount an, in „Large Trademark with Eight Spotlights“ zitiert er jenes von 20th Century Fox.

Die verstreichende Zeit wird zu einem Hauptmotiv seiner reizvollen, fast zu gefälligen Darstellungen, denen erst die grafische Strenge der darüber gelegten Schriftzüge die nötige Coolness verleiht. Und so arbeitet Ruscha auch mit vergänglichen Materialien: Blut bringt er auf Leinen auf, experimentiert mit Schellack, Schokolade und verschiedenen Getränken. In der „Silhouetten“-Reihe seit den Achtzigerjahren bringt er die Farbe mit Spritzpistolen auf; verschwommene Schwarz-Weiß-Formen, die mehr Anspielung sind als Aussage, lassen nun Platz für Assoziationen mit bereits Gesehenem, Gelebtem.

Besonders von 1990 an greift Ruscha erneut Einflüsse aus dem Kino auf und thematisiert nun auch die Vergänglichkeit von Filmmaterial. Die Formen auf der Leinwand werden durch akribisch gezogene, weiße, vertikale Linien durchbrochen, wie sie der Betrachter aus alten Westernstreifen kennt. Der Verfall des Bewegtbildes wird auf der Leinwand konserviert, der Lauf der Zeit mit den Mitteln der Kunst und voll schräger Ironie gebrochen.

2005 zeigte der Künstler zuletzt auf der 51. Biennale von Venedig im „Course of the Empire“-Zyklus einen Überblick über sein Werk, indem er den alten, von 1992 an im „Blue Collar“-Zyklus entstandenen Schwarz-Weiß-Gemälden moderne, farbige Variationen derselben wuchtigen, zweckmäßigen Arbeiterarchitektur entgegenstellte. Die Retrospektive im Haus der Kunst bietet nun mehr als nur eine Erneuerung und Erinnerung. 50 Jahre Kunst von Ed Ruscha finden hier nicht nur einen Ausstellungsraum, sondern einen Rahmen.

■ Bis 12. Mai, Haus der Kunst, München, Katalog 29,80 €