al forno
: Vorbilder aus Finnland

FRANK KETTERER über einen olympischen Skandal, aus dem Lehren zu ziehen wären

Alles zusammengefasst stellt sich der Skandal wie folgt dar: In der Nacht zum Sonntag enterten Carabinieri bei einer Doping-Razzia die Unterkünfte der österreichischen Biathleten und Langläufer und fanden dort prompt 100 Spritzen, 30 Schachteln mit Medikamenten und diverse Hilfsmittel für Bluttests und Transfusionen. Anlass zu der Aktion der italienischen Staatsanwaltschaft hatte das Auftauchen des gesperrten Trainers Walter Mayer in Turin gegeben, der schon vor vier Jahren mit Utensilien für Blutdoping erwischt und vom IOC von allen Olympischen Spielen bis 2010 ausgeschlossen worden war. Mayer konnte sich dem Zugriff der Carabinieri zwar zunächst entziehen, wurde später dann aber von der österreichischen Polizei schlafend in seinem Auto angetroffen. Die neuerliche Flucht Mayers endete in einem kapitalen Crash mit einem Polizeifahrzeug, mittlerweile befindet sich Mayer in psychiatrischer Behandlung.

Der einzige Flüchtling vor Italiens Staatsgewalt war Mayer, der trotz seiner Olympiasperre unvermindert als Sportlicher Leiter für Österreichs Skilangläufer und Biathleten agierte, freilich nicht. Auch die Skijäger Wolfgang Rottmann und Wolfgang Perner sowie Langlaufcheftrainer Emil Hoch und sein Sprintcoach Roland Diethart suchten das Weite, der Biathlet Perner nicht, ohne davor noch einen Plastikbeutel mit Spritzbesteck aus dem Fenster geworfen zu haben. Mittlerweile, so hieß es auf einer Pressekonferenz des Österreichischen Skiverbandes am Dienstagabend, hätten sowohl Perner als auch Rottmann zugegeben, „möglicherweise unerlaubte Methoden angewandt zu haben“.

Und jetzt, wie geht es jetzt weiter mit Österreich, das ja nachweislich nicht nur Sportler, sondern auch Betrüger zu Olympia geschickt hat? Wird Austria lückenlos aufklären – oder versuchen, durch Vertuschen das Allerschlimmste hinterm Berg zu halten? Es gibt viele Arten, mit Krisen umzugehen, leicht ist das nicht, es kann sehr schmerzhaft sein. Und vielleicht kriecht einem just an dieser Stelle das Jahr 2001 zurück ins Gedächtnis und die nordische Ski-WM im finnischen Lathi, schließlich trug sich dort Ähnliches zu, vielleicht sogar noch eine Nummer größer. Damals wurden Virpi Kuitunen, Harri Kirvesniemi, Mika Myllylä, Janne Immonen, Jari Isometsä und Milla Jauho, allesamt Finnen und Skilanglaufstars in ihrem Land, mit dem Blutplasma-Expander Hes, der zur Verschleierung von Epo-Doping dienen kann, im Körper angetroffen. Die Geständnisse folgten kurz danach. Im finnischen Langlauf ist seitdem nichts mehr, wie es einmal war; das Land hatte mit einem Schlag das Vertrauen in seine Volkshelden verloren – und damit ein bisschen auch in sich selbst. Ganz Finnland litt.

Vielleicht war das das Gute an dem Skandal: dass er nicht nur an der Oberfläche kratzte, sondern das Land erschütterte. In seiner Folge traten Sponsoren von ihrem Engagement zurück und die Regierung fror sämtliche Fördermittel ein, außerdem setzte sie dem Skiverband Jari Piirainen, einen Mann aus dem Sportministerium, als Generalsekretär vor die Nase – als Aufpasser. „Kein Mensch kann ausrechnen, was uns der Skandal an Ansehen gekostet hat“, sagt Piirainen im Rückblick, den wirtschaftlichen Verlust hingegen kann er ziemlich genau beziffern: rund 3 Millionen Euro. „Es war nicht unbedingt die Stunde null für uns, aber der Imageschaden hätte wohl kaum größer sein können“, pflichtet Rejo Jylhä, der Cheftrainer Skilangläufer, bei.

Doch obwohl der Ruf so ruiniert war, ungeniert lebten sie dennoch nicht weiter: Die Finnen entdeckten den Anti-Doping-Kampf für sich, und sie taten es auf erstaunlich glaubwürdige Weise. „Alle unsere Sportler müssen unterschreiben, dass sie keine Dopingmittel zur Leistungssteigerung verwenden“, sagt Jaakko Holkeri, der Präsident des finnischen Skiverbandes. Aber das ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern unterfüttert mit Sanktionen, die weit über jene des internationalen Skiverbandes Fis hinausgehen: Bei Verstoß drohen ein Bußgeld in Höhe von 50.000 Euro und die Rückzahlung aller Fördermittel, die der Betroffene im Laufe der Jahre kassiert hat. Zusätzlich wurde ein Ethikprogramm ausgearbeitet, das schon jungen Athleten das Bewusstsein geben soll, dass Doping kein Kavaliersdelikt ist, sondern beinharter Betrug.

Ob all diese Dinge dauerhaft Wirkung zeigen, kann man (noch) nicht endgültig wissen. Man weiß nur: Finnland hat verdammt viel getan, um seine Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, sofern man im modernen Sport von heute überhaupt noch von Glaubwürdigkeit sprechen kann. Und es hat dafür in Kauf genommen, dass finnische Skilangläufer bei den großen Wettkämpfen unter ferner liefen landeten, erst jetzt tauchen sie ganz langsam wieder in der Weltspitze auf. Bei den Spielen von Turin haben sie erst einmal Bronze gewonnen, den Rest besorgten die Skispringer, Snowboarder und Freestyler. Vielleicht sollte man auch von Österreichs Biathleten und Ski-Langläufern fürs Erste keine Medaillen mehr erwarten. Glaubwürdig wären sie ohnehin nicht.