al forno
: Heile Welten

FRANK KETTERER über einen Turbo, der im deutschen Olympiafernsehen gezündet wird

Am Anfang der zweiten und letzten Woche hat man auf seiner olympischen Bude auch die deutschen TV-Sender ARD und ZDF entdeckt. Nicht, dass man sie davor vermisst hätte, aber seitdem steht man eben frühmorgens mit deutschem Olympiafernsehen auf und geht spät nächtens damit auch wieder zu Bett. Vor allem zum Einschlafen eignen sich deutsche Programme ja schon seit längster Zeit bestens, und natürlich macht da Olympia keine Ausnahme.

Wobei, manchmal, meist wenn man gerade halbwegs sanft hinweggeschlummert ist, wird man doch noch einmal aufgeschreckt von dem, was ARD und ZDF da von Olympia über die Mattscheibe jagen, vor allem, wenn es sich um die Aufzeichnungen des vergangenen Tages handelt. ARD und ZDF senden, vor allem, wenn Olympia schläft, unentwegt Aufzeichnungen und Zusammenfassungen, all die Sendezeit muss gefüllt werden. Und wenn man die Zusammenschnitte am Ende des Tages so sieht, kommt es einem dabei so vor, als würden die Menschen vom Fernsehen von irgendwo ganz anders her berichten.

Das Olympia, das man im Fernsehen sieht, ist ein ganz anderes als jenes, das es in Turin gibt und in den Bergen. Im Fernseh-Olympia scheint zum Beispiel fast immer die Sonne, selbst wenn es im echten Olympia diesig ist oder Nebel gibt. Das kommt zum Teil von den Scheinwerfern und dem Flutlicht, das all die Kameras brauchen, um die Sportler ins Bild zu setzen, so viel davon, dass die Zuschauer in ihren Wohnzimmern meinen, in Turin scheine immerzu die Sonne. Manchmal weisen die Fernsehreporter ihre Zuschauer in ihren Wohnzimmern sogar darauf hin, dass das mit der Sonne nicht so ganz der Wahrheit entspricht. Sie sagen dann: „Liebe Zuschauer, lassen Sie sich von unseren Fernsehbildern nicht in die Irre führen, aber hier oben am Starthäuschen hat es Nebel und es herrscht ganz schlechte Sicht.“ Oder so was Ähnliches. Auf jeden Fall müssten die Zuschauer zu Hause jetzt eigentlich wissen, dass sie den Fernsehbildern nicht über die Piste trauen können. Aber spätestens nachdem die vierte Abfahrerin den Berg hinuntergebrettert ist, haben sie es wieder vergessen, Fernsehzuschauer sind so. Außerdem: Oft passiert es ohnehin nicht, dass die Fernsehreporter so ehrlich sind zu ihren Zuschauern, denn wie schnell könnten die sonst abschalten und anschließend nicht mehr ein-, weil sie ein Olympia, das vorwiegend grau und kalt ist, so grau wie Turin zum Beispiel, schlichtweg nicht sehen wollen. Grau und kalt ist es auch bei ihnen zu Hause. Im Wohnzimmer. Auf Arbeit. In ihrem Leben.

Vielleicht ist das Olympia im Fernsehen auch deshalb ein viel schöneres als das Olympia hier in Turin. ARD und ZDF haben ja jede Menge Geld bezahlt für die olympischen Übertragungsrechte. Und wenn die Fernsehzuschauer zu Hause in ihren Wohnzimmern nun ein Olympia mit Sonne sehen wollen und ohne Grau und Kälte, dann wird ihnen das natürlich geliefert. Zumal viele Bilder, die ARD und ZDF nach Deutschland senden, ohnehin aus den Kameras der Turino Broadcasting Organisation stammen, kurz Turbo genannt. Die Turbo ist quasi der IOC-Sender – und schon deswegen liegt es einigermaßen in der Natur der Sache, dass es im Fernsehen fast ausschließlich schöne Bilder von Olympia zu sehen gibt, das Internationale Olympische Komitee würde anderes nicht zulassen.

Das Olympia im Fernsehen ist also ein ganz warmes Olympia, und wenn es darin mal zufällig schneit, dann nur flauschig weiche Flocken, die sanft vom Himmel fallen und aus Olympia im Nu ein heimeliges Wintermärchen machen. Es gibt jedenfalls keine Busse, auf die man im Schneegestöber stehend warten muss und die dann doch nicht kommen; und wo es keine Busse gibt, gibt es auch keine ewig langen Busfahrten zu den Wettkämpfen und Staus und Warteschlangen und Einlasskontrollen und am Ende auch noch leere Ränge. Zu Hause im Wohnzimmer sitzt man einfach da und wird von Wettbewerb zu Wettbewerb gebeamt, von Ort zu Ort, von Medaille zu Medaille. Und überall ist es schön.

Das Schönste aber ist: Bei Olympia im Fernsehen gibt es kein Doping, und noch nicht einmal den Verdacht darauf. Und wenn es doch mal Doping gibt, dann immer nur bei den anderen. Bei den Russen zum Beispiel. Und natürlich bei Österreichern. Wird aber eine, sagen wir mal, deutsche Ski-Langläuferin mit erhöhten Hämoglobinwerten erwischt, dann ist das so ziemlich das Normalste von der Welt. Zumindest darf das zunächst der Trainer der Skilangläuferin in die Fernsehkamera sagen, später dann auch noch der Mannschaftsarzt. Und noch später wiederholt es Johannes B. Kerner, der Einäugigste unter den Blinden, in seiner Fernsehsendung aus dem Deutschen Haus. Das Publikum applaudiert, Kerner lächelt, der Zuschauer zu Hause in seinem Wohnzimmer nickt zustimmend. Er weiß jetzt: Deutsche Skilangläuferinnen haben zwar erhöhte Hämoglobinwerte oder wie das heißt, aber das kann jedem passieren und hat nichts zu bedeuten, kein bisschen. Kerner persönlich hat es ihm gesagt.

Ach, das ist wirklich schön. So schön wie das ganze Fernseh-Olympia. Schade nur, dass es mit der Wahrheit eher wenig zu tun hat.