ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Schwiggamuttahusten

4 Wochen kommt er, 4 Wochen bleibt er, 4 Wochen geht er

Wenn George Clooney kommt, gehe ich. Meine Freundin glaubt, neben ihrer Tätigkeit als Frau und Mutter bedauerlicherweise auch noch arbeiten zu müssen: für ein Fernsehmagazin wirkte sie bei der Berichterstattung über die Berlinale mit. Sie sagt, da müsse sie zehn Tage durcharbeiten. Und auch abends. Und die Partys anschließen gehören auch dazu.

Ja bitte. Da wollen wir (30 Jahre, männlich, und 13 Monate, männlich) natürlich nicht im Weg sein. Wir können uns auch sehr gut ohne die karrieresüchtige Rabenmutter amüsieren. Und zwar in Wanne-Eickel.

Dort wohnen nämlich Menschen, die das Opfer noch zu schätzen wissen, das Männer bringen, die sich um ihre Kinder kümmern. Dort wohnen Menschen, die auch gerne selbst ein paar Stunden auf das Kind aufpassen. Oder ein paar Abende. Menschen, die gut kochen. Menschen, die Jahreskarten für die Heimspiele von Schalke 04 besitzen. Glücklicherweise bin ich mit diesen Menschen sehr nah verwandt. Also los.

Samstagmorgen steigen wir in den Zug.

Samstagmittag gibt es Königsberger Klopse.

Samstagnachmittag schlägt Schalke Bayer Leverkusen mit 7 zu 4.

Samstagabend frage ich mich, welche alte Schulfreundin von mir wohl immer noch in Wanne-Eickel wohnen könnte.

Samstagnacht hustet das Kind zum ersten Mal.

Und jetzt ist natürlich Schluss mit lustig.

Na ja, so ein bisschen Husten, das wird doch nicht so schlimm sein, denken Sie jetzt vielleicht. Sie glücklicher Ignorant! Das Schlimmste ist nicht, dass der Junge hustet. Immer heftiger hustet. So heftig, dass ich einmal um drei Uhr nachts denke: Jetzt ist er geplatzt. Tatsächlich hustet der Junge so heftig, dass er jede Stunde wach wird. Und ich auch.

„Wegen einem kleinen Husten rennt man noch nicht zum Kinderarzt“, sage ich am Montag im Tonfall des Experten zu Opa und Oma.

Dienstag sitze ich auf einem Kinderstühlchen im Wartezimmer von Dr. Hufnagel. Das Konzept der männlichen Elternzeit scheint noch nicht bis ins Ruhrgebiet vorgedrungen zu sein. Außer mir sind nur Mütter da. Die sind nicht panisch oder nur aufgeregt, sondern sprechen über die Wehwehchen ihrer „Kurzen“ mit dem den Ruhrgebietsmenschen eigenen Understatement. Und mit Husten kennen sie sich hier besonders gut aus.

Eine erzählt beiläufig von ihrem Großvater, der schon mit 47 Jahren wegen Steinstaublunge nicht mehr „auf Arbeit“ durfte und dann noch sechs Jahre hatte. Eine andere versucht ihr Kind in den Schlaf zu wiegen und singt zur Melodie von „Heute mach ich Hochzeit“ aus „My Fair Lady“ den Text:

„Hörst du die Regenwürmer

husten?/

Öchö. Öchö./

Wie sie durchs dunkle

Erdreich ziehn./

Öchö. Öchö.

Wie sie sich winden

Öchö. Öchö.

Und dann verschwinden/

Öchö. Öchö.

Auf Nimmernimmerwieder-

sehn.“

Gott sei Dank, wir sind dran. Der Doktor guckt in Hals und Ohren und hört die Lunge ab.

„Nichts Ernstes“, sagt er, „bei uns im Ruhrgebiet nennen wir das Schwiegermutterhusten.“ Eigentlich hat er nicht Schwiegermutterhusten gesagt, sondern „Schwiggamuttahusten“.

Ich schaue fragend. Mein Sohn hustet.

„Schwiggamuttahusten heißt Schwiggamuttahusten, weil: Vier Wochen kommt er, vier Wochen bleibt er, vier Wochen geht er“, erklärt der Doktor freundlich.

Aha. Drei Monate jede Nacht jede Stunde aufwachen. Nennen die hier „Schwiggamuttahusten“ und „nichts Ernstes“. Das ist wirklich Understatement.

So schlimm ist es am Ende nicht gekommen. Mit diversen Mittelchen haben wir den Husten gemildert. Einmal konnte ich sogar vier Stunden durchschlafen. Nach einer Woche zurück in Berlin hat uns die arbeitende Mutter vom Bahnhof abgeholt und sofort berichtet: „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie anstrengend so ein Filmfestival ist.“

Schwiggamuttahusten? kolumne@taz.de Montag: Susanne Lang trifft DIE ANDEREN