Es geht ein Entzug nach nirgendwo

Simon Borowiak – früher bekannt als „Titanic“-Autorin – hat ein wunderbares Sachbuch über den Alkoholismus geschrieben: „Alk“

Leichte Lektüre ist so ziemlich das Letzte, was man von einem Sachbuch über Alkoholismus erwarten würde. Hat es ein Betroffener geschrieben, ist Betroffenheit zu befürchten, stammt es dagegen von einem Nichtbetroffenen: Was soll darin stehen außer medizinischem Kauderwelsch und/oder moralischem Geschwätz? Warum sollte man überhaupt ein Sachbuch über Alkoholismus, warum also „Alk – Fast ein medizinisches Sachbuch“ von Simon Borowiak lesen, wenn man selbst allenfalls Amateurtrinker ist?

Der Name Borowiak stand bis etwa Mitte der Neunzigerjahre für beste komische Unterhaltung. Ihr größter Erfolg war der federwölkchenleichte Reiseroman „Frau Rettich, die Czerny und ich“ von 1992, der die Geschichte eines Spanienurlaubs der drei titelgebenden Damen erzählte. Zuvor hatte Borowiak in der bezaubernden Titanic-Rubrik „Sondermann“ Bernd Pfarrs verhalten surreale Cartoons sieben Jahre lang mit ebenbürtigen Texten ergänzt. Seit 1986 schrieb sie für das Frankfurter Satiremagazin unter dem Titel „Hessen nimmt Abschied“ die komischsten gereimten Nachrufe auf Prominente, etwa auf Mercury („Mit fünfundverzisch war schon Schluß, / Des kam vom vielen Koitus“), und Texte, in denen es vorzugsweise gegen den Klerus, Hessen und seine Einwohner ging, denen die gebürtige Frankfurterin in Hassliebe zugetan war. Nach Erscheinen ihres letzten Romans „Pawlows Kinder“ (1999) zog sie sich aus der Öffentlichkeit, in die es sie ohnehin nie gedrängt hatte, völlig zurück.

Nun, nach einer Auseinandersetzung mit seiner Transidentität und nachfolgender Geschlechtsumwandlung, macht Simon Borowiak einen Neuanfang mit einem Sachbuch über eine Krankheit: „Alk“. Borowiak weiß, wovon er schreibt. Er kennt, daraus macht er keinen Hehl, den Rausch, das Leben mit Alk, Entzug, Entgiftung, Entwöhnung, Rückfälle, die gängigen Therapie- und Behandlungsformen aus eigener Erfahrung. Er berichtet in „Alk“ von Erkenntnissen und Möglichkeiten, nicht von seinem persönlichen Kampf. Aber er wendet eine Waffe an, die nicht nur in der Literatur zur eleganten Selbstverteidigung taugt: Komik.

„Die Entgiftungsstation ist der einzige Ort auf Erden, wo Sie bereits beim Einchecken gefragt werden, ob Sie etwas aus der Minibar hatten. In manchen Fällen wird es durchaus gerne gesehen, wenn der Patient noch einen kleben hat, denn dann haben die Fachleute den gesamten Entzugsvorgang auf dem Schirm und können besser mit den Medikamenten kalkulieren, um Komplikationen vorzubeugen. Nach der Aufnahme und der körperlichen Untersuchung bekommen Sie Ihr Bett zugewiesen und – je nach Institut – wird Ihr Gepäck gefilzt. Da heißt es eventuell: Auf Wiedersehen, Hattrick!“

Der helle, heitere Borowiak-Ton ist es, der es dem Leser einfach macht, sich die Straße zeigen zu lassen, die er selbst vielleicht nur ein kleines Stück hinuntergegangen ist – vielleicht aber auch schon ein Stückchen weiter, als ihm vorher bewusst war. Der Ton, der leicht, aber nicht unverbindlich ist, fast schon fröhlich, aber nicht unernst: „Es geht ein Entzug nach nirgendwo“ ist das dritte Kapitel betitelt, das übers Nüchternwerden.

„Alk“ ist nicht fast ein Sachbuch, sondern mehr als das. Sachbücher behandeln ihre Gegenstände als ebensolche. „Alk“ aber macht kein Objekt aus dem Alkoholkranken, sondern lässt ihm qua Humor seine Würde, denn es ist komisch, aber es macht sich nicht über ihn lustig. Sondern gibt ihm und allen Lesern, die dieser Welt schon einmal via Rausch entflohen sind, handfeste Informationen, die von den chemischen Vorgängen im betrunkenen Körper bis zur abschließenden Psychotherapie reichen. Die man machen kann, wohlgemerkt, aber nicht muss, auch als Alkoholkranker nicht. Denn: „Der Trinkvielfalt steht eine ebenso üppige Reaktionsvielfalt gegenüber. Alles ist möglich. Immerhin wird laut Weltgrundgesetz der Mensch als Krönung der Schöpfung definiert. Und nicht als ihr Kronkorken. Machen Sie sich also auf den Weg!“

Und kaufen Sie sich doch unterwegs „Alk“ von Simon Borowiak.

OLIVER NAGEL

Simon Borowiak: „Alk“. Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2006. 174 Seiten, 14,90 Euro