al forno
: Aschenputtels Paradedisziplin

FRANK KETTERER blickt zurück auf ein glänzendes und betrügerisches Olympia

Jedem Anfang wohnt ein Ende inne, und irgendwie geahnt hat man das natürlich schon immer, es ist schließlich der Lauf des Lebens. Nun also steht man da, wirft einen Blick zurück, so, wie man es immer getan hat, wenn man auf Reise war durch die weite Welt des Sports, und stellt die am Ende nicht unwesentliche Frage: Was eigentlich bleibt von alledem?

Es ist nur eine Frage, aber es gibt viele Antworten darauf – und nicht alle sind nur schön. Natürlich, es bleiben auch von diesen Olympischen Winterspielen in Turin jede Menge Sieger, und an manche von ihnen wird man sich bestimmt für den Rest seines Leben erinnern, ganz einfach, weil man dabei war, als sie siegten. An Georg Hettich zum Beispiel, den milchgesichtigen Kombinierer aus Schonach im Schwarzwald, der vor diesen Spielen noch nie ein Weltcuprennen gewonnen hatte, und nun, danach, einen ganzen olympischen Medaillensatz, also Gold, Silber und Bronze, sein Eigen nennt. Oder an Michael Greis, den Biathlet aus Nesselwang, der zwar schon als sehr guter Zweikämpfer angereist kam (so wie alle deutsche Biathleten) und bestimmt mit einer Medaille geliebäugelt hat, aber bestimmt nicht gleich mit dreien aus Gold, die man ihn hier um den Hals gehängt hat. Oder Michaela Dorfmeister, die Alpine aus Österreich. So lange fährt die Dorfmeister jetzt schon Ski, so viele Siege hat sie in all den Jahren eingefahren. Nur bei Olympia wollte es ihr nie gelingen, warum auch immer, es war wie verhext. Aber dann kam 32-Jährige nach Turin – und plötzlich ging ihr alles ganz leicht: Gold in der Abfahrt, Gold im Super-G. Michaela Dorfmeister war eine der großen Geschichten hier in Turin, und es waren ehrliche Tränen, die sie anschließend im Ziel vergoss.

Selbstredend: Wo es so viele Sieger gibt, sind auch Verlierer nicht weit. Janne Ahonen, zum Beispiel, der finnische Skispringer, der sich nichts sehnlicher wünschte als eine olympische Einzelmedaille – und doch auch diesmal wieder ohne sie zurück nach Finnland fliegen musste. Oder Hermann Maier, der Terminator, der nun wirklich alles schon gewonnen hat – außer Olympiagold in der Abfahrt, seiner Paradedisziplin, und just dies wohl auch nicht mehr gewinnen wird. Oder Anni Friesinger, die deutsche Eisdiva, die sich vorgenommen hatte, eine der Königinnen dieser Spiele zu werden, und am Ende doch als ziemliches Aschenputtel dastand. So wie Marit Björgen, die Skilangläuferin aus Norwegen. Oder Irina Slutskaja, die russische Eisgrazie. Oder, um zu den Männern zu kommen und somit zu den Aschenputtlern: der Biathelt Ole Einar Björndalen sowie Hannu Manninen, der Kombinierer. Allesamt waren sie als große Favoriten angereist und als schmerzlich Geschlagene wieder ab. Turin war schon deswegen vor allem das Olympia der Verlierer.

Es war aber auch das Olympia der weiten Wege, und wenn man das mal so grob zusammenrechnet, ist man in den letzten 14 Tagen knapp 50 Stunden im Bus gesessen, hat dabei gut 1.700 Kilometer zurückgelegt und zwischendurch rund 45 Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen. Und irgendwann kam einem dieser Gedanke von ganz allein und immer wieder: Warum ausgerechnet Turin?

Andererseits: Vielleicht war es doch ganz gut, dass die Spiele in der grauen Stadt am Po stattgefunden haben – und damit in Italien. Denn nirgendwo sonst (außer vielleicht in Frankreich) hätte der Kampf gegen die gewissenlosen Betrüger des Sports so vehement geführt werden können wie hier. Turin steht nämlich, und damit musste man nun wirklich schon im Vorfeld rechnen, für einen weiteren Dopingskandal. Stichworte: Österreich und Blutbeutel. Es steht aber auch für eine neue, konsequentere Doping-Verfolgung. Stichworte: Razzia und Carabinieri. „Um jemanden des Dopings für schuldig zu befinden, braucht man nicht notwendigerweise Urin- oder Blutproben. Es kann auch auf Grundlage von Beweisen erfolgen“, hat Jacques Rogge dieser Tage gesagt. Und im Prinzip hat der IOC-Präsident damit nichts anderes eingeläutet als eine neue Ära des Anti-Doping-Kampfes. Mag sein, dass die Schlinge für potenzielle Betrüger immer noch groß ist, viel zu groß. Aber sie ist nichtsdestotrotz kleiner geworden, ein ganzes Stück kleiner sogar. Viel mehr kann man fürs Erste nicht verlangen.

So gesehen hat Turin auf nahezu beispielhafte Art und Weise gezeigt, was bei der Dopingbekämpfung möglich ist, wenn Staats- und Sportgewalt Hand in Hand arbeiten. Und es hat die Frage aufgeworfen, ob Deutschland und der deutsche Sport diesbezüglich auf der Höhe der Zeit sind, nicht nur bei Manfred von Richthofen, dem Präsidenten des Deutschen Sportbunds (DSB). „Dem Dopingsumpf ist nicht anders Herr zu werden als mit staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Mitteln“, hat der Sportbaron gerade in der Berliner Zeitung festgestellt. Und just dort auch das Problem für Deutschland erkannt: „Ein springender Punkt ist, dass man Personen, die in Besitz von Dopingmitteln sind, bisher gesetzlich nicht belangen kann.“

Auch der deutsche Sport, so die Botschaft von Turin, wird umdenken müssen. Zumal: Auf der Insel der Glückseligen, auch wenn anderes vorgegaukelt wird, lebt er ohnehin schon seit längerem nicht mehr, man denke da nur an den positiven Dopingfall der Triathletin Nina Kraft oder den Magdeburger Prozess gegen den ehemaligen Leichtathletiktrainer Thomas Springstein. Um so ungebührlicher und fragwürdiger wirkt das Verhalten der Verantwortlichen im Fall der deutschen Ski-Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle, die schon am ersten Tag wegen ihres erhöhten Hämoglobinwerts auffällig geworden war. Dieser kann ein nicht geringen Hinweis auf verbotenes Blutdoping darstellen, aber anstatt den Fall seriös zu behandeln und damit als das, was er ist: nämlich zumindest der Verdacht auf einen Dopingfall im deutschen Team, polterten die Herren vom DSV ebenso wild wie dümmlich drauflos, allen voran Jochen Behle, der Bundestrainer. Getroffene Hunde bellen, heißt es – und wenn das stimmt, dann waren Behle und Co. doch sehr getroffen, so laut wie sie gebellt haben. Wie auch immer: Sensibler Umgang mit einem noch sensibleren Thema sieht anders aus; Nachholbedarf, also lückenlose Aufdeckung der Causa Sachenbacher, tut unvermindert Not, auch jetzt, da das Feuer erloschen ist. Es geht schließlich auch in diesem Fall um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit des Sports – und damit die von Olympia.