jazzkolumne
: Taktlos und mit Linksöffnung

Vom Festival zum Label und zurück. Intakt Records aus Zürich, eines der besten europäischen Jazzlabels, feiert 20. Geburtstag

Mit der Tram dauert es eine gute halbe Stunde vom Intakt-Büro zu Irène Schweizers Wohnung. Zürich ist übersichtlich, der See, in dem Patrik Landolt in der Mittagspause oft baden ging, als er noch als Redakteur bei der WOZ arbeitete, die Rote Fabrik, in der er seit Anfang der Achtzigerjahre Konzerte organisiert – man braucht kein Auto in dieser Stadt. Irène Schweizer schaffte ihres schon vor über 20 Jahren ab, die beste Jazzpianistin Europas radelt und lebt bescheiden.

In jüngster Zeit ehrt man sie als nationales Kulturgut – ein großes Konzert im KKL Luzern, einem der weltweit besten Klassiksäle, und ein Kinofilm über ihr Leben. „Bei mir ging es so, dass ich bis fast 40 immer Nebenjobs hatte. Da ich selbst Autodidaktin bin, fühlte ich mich nicht wohl, zu unterrichten. Ich habe Bürojobs gemacht, ich kann drei Sprachen und gut Schreibmaschine, und es gab viele gut bezahlte Aushilfsjobs in den Achtzigerjahren. Das hat mir also wirklich nicht wehgetan, und ich hatte genügend Zeit für die Musik, weil ich auch keine Familie gegründet habe, ich war immer allein, musste niemand unterstützen. Mitte der Achtzigerjahre habe ich dann mit dem Jobben aufgehört, und ich erhielt auch einige Auszeichnungen, die gut dotiert waren, teilweise sogar beachtliche Beträge, die mir sehr geholfen haben“, berichtet Schweizer.

Der Intakt-Produzent Landolt wird in diesem Jahr 50, das Büro ist in seiner Wohnung gelegen, ein großer Raum mit Computer und CD-Archiv. Er ist der einzige Festangestellte des engagierten Labels, das vor 20 Jahren von ihm, Schweizer, Rosmarie A. Meier und Fredi Bosshard als „Verein mit nichtkommerziellem Zweck“ gegründet wurde, um zeitgenössische Jazzmusik zu dokumentieren. Irène Schweizer hatte in den siebziger Jahren schon Konzerte initiiert, und mit dem alternativen Kulturzentrum Zürichs, der Roten Fabrik, gab es auch die ideale Location für Festivals wie Taktlos und Unerhört!, die von den Intakt-Betreibern mit organisiert werden.

„Wenn wir ein Festival schaffen, können wir auch Platten machen“, resümiert Landolt 100 Veröffentlichungen und 20 Jahre später, „die Idee ist die Kommunikation mit dem Publikum, darum nicht kommerziell und Vorsicht vor privaten Sponsoren. Wir haben gelernt, wie man mit wenigen öffentlichen Geldern und einer klugen Vernetzung sehr effizient mit billigen Infrastrukturen arbeiten kann, um die Musiker vor Einflussnahmen zu schützen.“ Ausgangspunkt für das Intakt-Label, das jetzt vom 1. bis 3. März in Zürich sein 20-Jähriges mit einem kleinen Festival feiert, war, dass das Schaffen von Irène Schweizer massiv unterrepräsentiert schien. Die Platten, die sie für das Berliner FMP-Label aufgenommen hatte, waren in der Schweiz damals nur sehr schwer erhältlich, und Konzerte gab sie vor allem in London und Berlin. In Budgetfragen war man noch unbeholfen, Kurse in Buchhaltung folgten, doch die Cover gaben den Platten von der ersten Nummer an ein Gesicht.

Von „Irène Schweizer Live at Taktlos“ setzte man auch ohne internationales Vertriebsnetz 2.000 Exemplare ab, Schweizer spielte auf der Höhe ihrer Zeit, und das erste hier dokumentierte Konzert mit dem Posaunisten George Lewis klang, als hätten die beiden schon Jahre zusammen experimentiert. Unabsichtlich hatte diese erste Intakt-Platte den Öffnungsschlitz links, doch Überlegungen, die Firma als „das Label mit Linksöffnung“ zu promoten, wurden schnell verworfen. „Aus Deutschland kam damals ein Fax zurück, auf dem stand: ‚Diese Scheißmusik – wer soll denn das kaufen?‘ – den Vertrieb gibt es heute nicht mehr, uns schon“, sagt Landolt.

Zwischen 500 und 5.000 setzt Intakt pro CD weltweit ab, die im vergangenen Jahr veröffentlichte 3-CD-Box „Monk’s Casino. The Complete Works of Thelonious Monk“ von Alexander von Schlippenbach und Die Enttäuschung im Berliner Jazzclub A- Trane aufgenommen, war die bislang bestverkaufte. Das Teuerste seien nicht die Produktion und Herstellung einer CD, sondern die Infrastruktur, Katalogpflege, der internationale Vertrieb, Drucksachen, Inserate, kurz: die Arbeit für die Verbreitung der Musik. Zwei Drittel der Intakt-Abonnenten wohnen in der Schweiz und in Deutschland, doch auch in Japan und Island soll es einige Dutzend Menschen geben, die jede Intakt- Platte bekommen.

Auf Indie-Labels wie FMP, ECM und Enja blickt Landolt durchaus mit Respekt, sie haben in einer großen Umbruchphase Neuland entdeckt, sagt er, und dank Keith Jarrett und Dollar Brand hätten sie auch gute Umsätze erzielen können. Die Ende der Fünfzigerjahre Geborenen, „meine Zwischengeneration“, wie Landolt sagt, waren 68 ja noch Schüler, also nicht wirklich Teil der Bewegung, aber vielleicht auch nicht so verbraucht und offener: „Post Punk, frei improvisierte Sounds, die New Yorker Noise Szene, das konnte ich alles produzieren, die zweite oder dritte Generation des europäischen Jazz, aber auch Cecil Taylor solo, den Koloss der afroamerikanischen Kultur.“

Auf die Frage, was ein kleines Label wie Intakt Giganten wie Anthony Braxton und Cecil Taylor bieten kann, reagiert Landolt gelassen. Wenn man endlich kapiert habe, dass mit CDs kein großes Geld zu machen ist, liegen die Vorteile auf der Hand: „Sie können über uns weltweit ihr Publikum erreichen. Ein Künstler wie Braxton ist auf zig Labels wild gestreut, weil er eine Plattenfirma als reine Vermittlungsinstanz betrachtet. Doch welche CDs sind überhaupt noch erhältlich, von 150 vielleicht noch 20 – unser Ziel ist es hingegen, die CDs unserer Künstler greifbar zu halten. Bei uns gibt es Irène Schweizer und Barry Guys London Jazz Composers’ Orchestra so komplett wie möglich.“ CHRISTIAN BROECKING

Das Festival findet vom 1. bis 3. März im Moods in Zürich statt. Informationen unter www.intaktrec.ch