Eiskalte Abrechnung mit der Hochschulreform

BOLOGNA-PROZESS Europas Bildungsminister ziehen eine kritische Bilanz: Die Uni-Reformen stocken. Studierende werden stärker beteiligt

„Jetzt müssen wir mehr arbeiten und weniger feiern. Das mentale Defizit, das es bei uns viel zu lange gegeben hat, war, die Forschung immer wichtiger zu nehmen als die Lehre“

ANNETTE SCHAVAN (CDU), BUNDESBILDUNGSMINISTERIN

AUS BUDAPEST UND WIEN M. KAUL
UND R. LEONHARD

Bologna liegt in Wien. Und es brennt nicht, vielmehr wird es von einem feinen Schneeregen heimgesucht, der auf das eiskalte Pflaster fällt und die feuchtkalte Stimmung verstärkt. Die Temperatur liegt einen Hauch über dem Gefrierpunkt. Unter dem Motto „Bologna burns“ haben sich zwischen 3.500, so die Polizei, und 10.000 Studierende, wie die Veranstalter optimistisch vermelden, auf den Weg gemacht, die offizielle Feier zum zehnjährigen Jahrestag des sogenannten Bologna-Prozesses kritisch zu begleiten. Aus Österreich, Frankreich, Spanien und Deutschland sind sie gekommen.

Das Eintreffen der aus Budapest angereisten Kultus- und Wissenschaftsminister kann durch die Blockaden immerhin verzögert werden. 47 MinisterInnen und Diplomaten aus ganz Europa haben am Freitag offiziell den europäischen Hochschulraum eröffnet.

Damit hat der Bologna-Prozess sein erstes Ziel erreicht. Seit 1999 sind rund 95 Prozent aller europäischen Studiengänge reformiert worden. Bei dem zweitägigen Gipfel in Budapest und Wien zogen die Politiker, die EU-Kommission, Hochschulvertreter und Studierende allerdings eine deutlich kritische Bilanz.

Ein wenig hatten sie noch verhandelt, aber dann weist die gemeinsame Abschlusserklärung der Bologna-MinisterInnen sogar explizit auf die Studierendenproteste hin, die in den vergangenen Monaten in vielen Ländern Europas stattgefunden haben: „Die kritischen Stimmen von Universitätsmitgliedern und Studenten nehmen wir wahr und berücksichtigen wir“, heißt es in dem Abschlussdokument.

Die EU-Kommissarin für Bildung, Androulla Vassiliou, räumte in Wien ein: „Es gibt in den Nationalstaaten und an den Universtäten noch große Probleme. Studierende waren nicht adäquat in die Reformdebatten an den Hochschulen einbezogen.“ Und der spanische Delegationsleiter Marius Rubirala fordert: „Wir brauchen nun ein neues Konzept, die Studierenden an unseren Universitäten besser einzubeziehen.“

Vassiliou macht auch deutlich: Europas Staaten müssten sich mehr für die Integration benachteiligter Gruppen an den Hochschulen einsetzen. „Die sozialen Aspekte müssen künftig stärker betont werden als die ökonomischen Aspekte.“

In einem Bericht der Wissenschaftsagentur Eurydice hatten die Autoren bemängelt, dass in den wenigsten europäischen Ländern konkrete Pläne für mehr soziale Gerechtigkeit an den Hochschulen vorlägen.

Ungarns Bildungsminister und Gastgeber der Konferenz, Istvan Hiller, sagte zum Abschluss: „Jeder, der sagt, dass dieser Reformprozess perfekt läuft, lügt. Es gibt aber auch keine Alternative dazu.“ Die Bologna-Staaten müssten die größte Hochschulreform seit Jahrhunderten nun kreativer umsetzen als bislang: „Wir können nicht mit den Rezepten weiterkochen, die vor zehn Jahren aktuell waren.“

Entgegen vieler Erwartungen war die Jubiläumsfeier also nicht das Jubel-Event, das es hatte werden sollen. Zahlreiche weitere MinisterInnen verwiesen auf die Probleme, die seit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge an Europas Unis noch bestehen: dürftige soziale Gerechtigkeit, mangelnde Mobilität europäischer Studierender sowie die häufig noch unbefriedigende Anerkennung von Studienleistungen.

Auch die Beteiligten der deutschen Delegation gingen kritisch mit dem Umsetzungsstand der Bologna-Reform ins Gericht. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte der taz: „Jetzt müssen wir mehr arbeiten und weniger feiern. Das mentale Defizit, das es bei uns viel zu lange gegeben hat, war, die Forschung immer wichtiger zu nehmen als die Lehre. Das ist, was wir jetzt wirklich ändern müssen.“ An Deutschlands Unis müsse nun eine Personalstruktur geschaffen werden, die den neuen Studienstrukturen gerecht werde.

Studierende aus ganz Europa präsentierten ihre Änderungsvorschläge auf einem eigenen Gipfel. Auf dem Campus der Uni Wien herrschte Einigkeit, dass die Verschulung und Marktorientierung des Studiums nicht weiter hingenommen werden soll. Der Bachelorabschluss, so eine Rednerin, sei nichts anderes als ein behördlich verordneter Studienabbruch.

Die Chancen, gehört zu werden, stehen, wenn man den offiziellen Verlautbarungen glaubt, ganz gut. Rumäniens Bildungsminister Daniel Funeriu sagte: „Wir dürfen mit den Studierenden nun nicht mehr die Kämpfe von gestern kämpfen, sondern müssen gemeinsam um die Zukunft kämpfen.“

Die Studierenden sind die wiederentdeckte Spezies unter den Hochschulangehörigen. In der Abschlusserklärung der Minister heißt es ausdrücklich: Künftig müssen die Staaten aus ihren Fehlern lernen. Studierende müssen beteiligt werden.

Für Ligia Deca von der europäischen Studierendenvereinigung ESU ist dieses Statement ein Erfolg. „Wir können zufrieden damit sein, dass Europas Minister eingesehen haben, dass die größte Gruppe an den Universitäten in die Reformen einbezogen werden muss.“