Zwischen Jahrmarktsgeschrei und frommen Weisen

THEATER Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des Reichen Mannes“ in Salzburg

Was die Moderne hinter sich gelassen hat, scheint dazu verdammt, als frivole Sehnsucht von ihr mitgeschleppt zu werden. Wie sonst wollte man den Genuss erklären, der sich Jahr für Jahr auf dem Salzburger Domplatz einstellt, wenn Verse einer altertümelnden Kunstsprache Trauer über die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens herbeirufen und die Beschwörung mittelalterlicher Jenseitshoffnungen für Ergriffenheit sorgt, nachdem ein exemplarisch reicher Mann, der seiner Freundin, Verzeihung, seiner Buhlschaft, eigentlich nur einen Garten schenken wollte, angesichts des nahen Todes schmerzlich sein Leben bilanziert, dann aber doch zu Glockenklang und Engelssang reuig in den Himmel kommt?

Mit „Jedermann“, haben der Dichter Hugo von Hofmannsthal und der Theatermann Max Reinhardt die Gegenreformation sicherheitshalber in der ästhetischen Sphäre noch einmal nachgeholt. Das „Spiel vom Sterben des Reichen Mannes“ wird in der Salzburger Freiluftlocation seit 1920 als Denkmal in eigener Sache fast unverändert aufgeführt.

Wie jede Pilgerstätte ist die Rückprojektion eines alten Kirchenspiels vor allem auch ein gutes Geschäft und stellt bis heute einen nicht unwesentlichen Teil des ästhetischen Stammkapitals der Salzburger Festspiele. Der österreichische Kulturbetrieb betrachtete das fromme Treiben lange als legitimen Beitrag zur Tourismusförderung und als leicht genommenen Wiederholungszwang, dessen Inhalte man etwa so ernst nimmt wie die Losungen eines kommunistischen Parteitages kurz vor der Wende.

Wichtig waren andere Fragen: Wer ist – prominent – besetzt, wen trifft man anlässlich der Premiere und was zieht man an? An sich einfache Antworten: Mit Cornelius Obonya als Jedermann sehen die Boulevardblätter der Republik eine alte Schauspielerdynastie wieder in neuem Glanz. Schon der Großvater, Attila Hörbiger, spielte die Rolle. Brigitte Hobmeier, die neue Buhlschaft, fährt auf der Bühne neuerdings Fahrrad, damit man die Strapse besser sieht.

Der Dresscode auf der Tribüne ist uneinheitlich bis geschmacklos, gelegentlich black tie zwischen Alltagskleidung, ansonsten viel Fantasietracht, deren Farben und Formen nie ein Bauernleben gesehen haben. Um Bekannte zu treffen und Bussis zu tauschen, ist das Gewusel auf dem Domplatz von jeher ungeeignet.

Aber in diesem Jahr sollte alles anders werden. Die seit dem vergangenen Jahr neue und 2015 schon wieder obsolete Festivalführung unter Alexander Pereira, die bislang nicht gerade mit ästhetischem Innovationswillen aufgefallen war, begegnet ausgerechnet dem „Jedermann“ mit dem reformatorischem Drang, die zu Kunsthandwerk erkaltete Liturgie in Theater zurückzuverwandeln.

Unbeeinträchtigt vom Zynismus der Salzburger Insider, der die äußeren Formen wahrt und dem die Inhalte erklärtermaßen „wurscht“ sind, nimmt das britisch-amerikanische Regieduo Julian Crouch und Brian Mertes Hofmannsthals Verse ernst und verwandelt eine sonst eher fade Tischgesellschaft in Renaissancekostümen in einen furiosen Karneval mit Turbo-Folk, Puppen, Schwellköpfen und grotesk-barocken Bildzitaten.

Zwischen Jahrmarktsgeschrei und frommen Weisen sollte Leben einkehren und auch der Witz der Worte. Brigitte Hobmeiers Buhlschaft fordert mit jungmädchenhafter Zickigkeit den Genuss am Genuss – auch der muss halt gewollt sein, wenn hinter der Schöpfung einer stehen sollte, der das Ganze gewollt hat.

Nasenpopel des Teufels

Ihre starken Momente hat die Aufführung jedoch nach dem Umschlag des Allerweltstreibens in die religiöse Allegorie. Der Tod (Peter Lohmeyer) sieht zwar ein wenig aus wie Lord Voldemort, aber dafür gewinnen andere Darsteller wie Jürgen Tarrach als Mammon, Sarah Victoria Frick in der Rolle der „Gute Werke“ oder Julia Gschnitzer als Jedermanns Mutter schauspielerisches Profil und eine neue Verantwortung in Rollen, die früher eher als gut bezahlte Sommermucken angesehen wurden.

Jedermanns Blässe hingegen kommt nicht nur von der Einsicht in seine Sünden. Cornelius Obonya bleibt auch bei allen Ambitionen und unangefochtenem Handwerk der blinde Fleck im Projekt. Müsste man diesem Jedermann die Beichte abnehmen, die Absolution käme schwer von den Lippen.

Im Abschluss predigen Crouch und Mertes ihre Theologie der Versöhnung, in der selbst der personifizierte Teufel am Grab des Sünders etwas Erde oder wenigstens einen Nasenpopel übrig hat. Das ist nicht unbedingt das, wofür christliche Denominationen von Luther bis Ratzinger feinsinnig gestritten oder einander viehisch totgeschlagen haben. Viel Beifall, aber auch Zweifel. Die Freundlichkeit der Religion ist zumindest in ästhetischer Hinsicht nicht ihre stärkste Seite. UWE MATTHEISS