Smart in Neukölln

PROJEKTRAUM „Savvy Contemporary“ bezieht neue Räume im ehemaligen Umspannwerk Rixdorf. Hier sollen bald Verbindungen zwischen westlichen und nicht westlichen Diskursen in der Kunst geknüpft werden

Es geht auch um das Verwischen der Sphären von Kunst und Wissenschaft

VON JESSICA ZELLER

Vor dem fast schon sakralen Eingangstor aus Backstein lehnen Renn- und Klappräder mit Vintage-Optik. Junge, schöne Menschen aus aller Welt, die es nach Berlin verschlagen hat, stehen in den hohen Hallen des Umspannwerks Rixdorf. 400 Quadratmeter des Industriedenkmals aus den zwanziger Jahren sind seit vergangenen Donnerstag ein White Cube mit rauem Charme. Der graue Steinfußboden wurde nur gefegt, an den schmalen Fensterrahmen platzt der Lack. Die ein oder andere Zwischenwand soll noch rausgerissen werden. Am 10. August wird hier die erste Doppelausstellung des Projektraums Savvy Contemporary eröffnen. Doch jetzt wird erst mal der Ort an und für sich bestaunt.

„Wenn man sich auf den Fotos anschaut, wie es noch vor einigen Wochen aussah, dann grenzt das schon an ein Wunder, dass wir heute hier sind.“ Saskia Köbschall, bei Savvy für die Geschäftsführung zuständig, scheint die Entwicklungen der letzten Monate kaum selbst glauben zu können. Eben noch bespielte der in 2009 von Bonaventure S. B. Ndikung gegründete Projektraum zwei kleine Ladenräume ein paar Häuserblocks weiter. Dann erhielt Savvy Contemporary als einer von sieben Berliner Projekträumen Ende Februar vom Berliner Senat für seine bisherige Arbeit ein Preisgeld in Höhe von 30.000 Euro. Eine Summe und eine Würdigung, die Gestaltungsspielräume öffnen.

„Natürlich sind wir schon oft an diesem Gebäude vorbeigelaufen und haben davon geträumt, dort etwas zu machen. Direkt nach der Preisverleihung habe ich mich dann auf die Suche gemacht, wem das Umspannwerk eigentlich gehört“, berichtet Köbschall weiter. Bei ihrer Recherche stieß sie auf die Berliner Bauentwicklungsgesellschaft Wabe und ihren Geschäftsführer, Reinhold Wagner. Die auf Altbausanierungen spezialisierte Firma hat bereits im Jahr 2000 drei denkmalgeschützte Umspannwerke des Bewag-Architekten Hans Heinrich Müller erworben: die „Kathedrale der Elektrizität“ am Paul-Linke-Ufer, die Bauten an der Bergmannstraße und eben jene in der Richardstraße 20 in Neukölln. „Langfristig sollen hier Wohnungen im Luxussegment entstehen. Aber noch ist nichts verkauft. Und bis das passiert, sind wir erstmal hier.“ Ein Bleiberecht auf Zeit, die klassische Gentrifizierungsfalle also, in der die Künstler verlassene Orte aufwerten, um im nächsten Schritt selbst vertrieben zu werden? So will es Bonaventure S. B. Ndikung nicht verstanden wissen.

„Gentrifizierung funktioniert meiner Meinung nach nur dort, wo ein starkes soziales Gefälle existiert. Hier in Rixdorf gibt es auch viele Menschen mittleren Einkommens, ja selbst Wohlhabende leben hier. Wer soll die vertreiben?“ Ganz bewusst hat der gebürtige Kameruner seinen Projektraum in diesem Teil Berlins angesiedelt: dort, wo im 18. Jahrhundert böhmische Glaubensflüchtlinge siedelten – in einem Stadtteil, in dem heute Menschen aus 160 Nationen zu Hause sind. „Ich hätte mir damals wohl nicht mehr Mitte leisten können, aber bestimmt die Potsdamer Straße. Aber das wollte ich nicht.“

In gewisser Weise sind Ndikung und sein mittlerweile zwölfköpfiges Team ein Gegenkonzept zu vielem, was man unter den Begriffen Neukölln und Kunst zu verstehen meint. Auf 48 Stunden Neukölln angesprochen, runzelt er die Stirn. Ja, das sei zwar für den Bezirk wichtige Aktivität, aber Savvy Contemporary mache bewusst etwas anderes. „Wir sind kein Sozialprojekt, wir machen Kunst.“

In Fokus steht, der Name sagt es bereits, der Begriff des Wissens. „Savvy“, auf Englisch so viel wie klug, schlau und erfahren, wird in der Londoner Umgangssprache gern gebraucht, um sein Gegenüber zu fragen, ob er etwas verstanden hat. Savvy? Kapiert? Ndigung und sein Team verfolgen einen intellektuelleren Ansatz: „Wir geben verschiedenen Traditionen und Erfahrungen und auch minoritären und nicht gehörten Formen von Wissen einen Raum“, sagt Ndikung. Transnationale Grenzüberschreitungen und das Verwischen der Sphären Kunst und Wissenschaft ist für Ndikung, der neben seiner Tätigkeit als Kurator als Biotechnologe arbeitet, auch ein persönlicher Anspruch.

Die Ausstellungen im August setzen sich mit kollektiver Erinnerung im öffentlichen Raum und der Rechtfertigung politischer Gewalt auseinander. Behandelt werden diese Fragestellungen von Künstlerinnen und Künstlern, die an vielen Orten der Welt zu Hause sind. Die transnationalen Grenzüberschreitungen machen Savvy Contempory zu einem Ort, an dem viele künstlerische Ausdrucksformen ihren Platz haben werden. Nicht umsonst nennt sich Savvy im Untertitel auch „The Laboratory of Form-Ideas“.

Neben sechs Ausstellungen im Jahr plant das Team regelmäßig Performances, eine öffentlich zugängliche Bibliothek mit Kunstbüchern aus aller Welt und einen Ort für das bereits bestehende Archiv „Koloniale Nachbarn“ mit Artefakten aus der deutschen Kolonialzeit. Im beschränkten Rahmen werde man die atmosphärischen Räume auch für externe Veranstaltungen vermieten müssen. Schon allein, um dem qualitativen Anspruch in den Ausstellungen gerecht werden zu können.

■ Savvy Contemporary, Umspannwerk, Richardstraße 20. Nächste Ausstellungseröffnung am 10. August. Alles weitere unter www.savvy-contemporary.com