Alles in Butter

Ayurveda, für Durchschnitts-verdiener hierzulande kaum bezahlbar, ist in Indien durchaus erschwinglich. Aber auch nicht ganz so gemütlich

Aus Lonavalla ANGELIKA FRIEDL

Es ist ein fettes, öliges Gesöff, das ich in einem Zug hinunterschlucken soll. Es schmeckt wie ein Brechmittel, aber es ist natürlich keines. Es ist wie Gold, das in alle Zellen dringt, hören wir, um den Körper weich und geschmeidig zu formen für den großen Abführtag. Eigentlich mag ich Ghee, geklärte Butter, aber dieses hier ist mit Kräutern gemacht und es rollt unheilverkündend meine Speiseröhre hinunter. In der indischen Tradition wird es, ohne Kräuter, als heiliges Nahrungsmittel angesehen. Wieder einmal frage ich mich, warum ich hier bin. Vordergründig scheint die Antwort klar: weil eine Ayurveda-Kur in Deutschland unbezahlbar ist.

Aber es gibt noch andere Erklärungen. Weil ich immer wieder nach Indien reisen und mich aufregen muss. Über den Dreck, die Armut, den Staub, die Unpünktlichkeit und die Autoritätsgläubigkeit. Aber auf der anderen Seite sehne ich mich nach diesem Land, in dem die Menschen einen anlächeln, in dem Widrigkeiten mit Fantasie und Geduld umgangen werden und wo so viele unterschiedliche Welten, innere und äußere, existieren, deren Reichtum uns verloren gegangen ist.

Es ist Winter in Maharasthra. Winter heißt, nachts kann die Temperatur in den Hügeln des Deccan auf 5 Grad Celsius und weniger heruntergehen. Das Personal an den Mautstationen des Expressway, der neuerdings Bombay und Poona verbindet, trägt in diesen Zeiten Wollmützen im Bankräuberlook, Hals und Nacken sind vermummt. Wir amüsieren uns köstlich darüber.

Unser Dorf liegt inmitten einer grünen Oase. Es ist ein spirituelles Zentrum unter der Leitung eines erfahrenen Arztes. Denn eine Panchakarma-Kur, habe ich gelesen, ist körperlich und geistig anstrengend. Und Behandlungen in einem Luxushotel unter Palmen wären etwa so sinnvoll wie eine Entgiftungskur mit täglichem Schweinebraten. Hier aber können die Patienten meditieren, Yoga machen und im Tempel Mantren hören. In den ersten Tagen bin ich ziemlich beschäftigt. Vorträge hören, sich im Büro anmelden, Gespräche mit den Therapeuten und Ärzten führen, Medikamente abholen – alles dauert seine Zeit. Etwa sechzig Patienten sind hier, Europäer, hauptsächlich Deutsche, und wohlhabende Inder aus der ganzen Welt. Die ärmeren Leute aus der Umgebung werden von den Ärzten für wenig Geld oder manchmal auch kostenlos beraten.

Wir bekommen ein Willkommenspaket mit Räucherstäbchen, Ölen, Gesichtspackungen und Infobroschüren. Ich stolpere über „Menstruation, a rejuvenation process“. Ja natürlich, die alte indische Tradition, die ich schon kenne, die Frauen verpflichtet, sich während der ersten drei Tage der Menses abseits zu halten und möglichst wenig zu arbeiten. Sie essen dann nicht in der Dininghall wie die anderen, sondern getrennt in einem kleinen Raum. Die verschiedenen Energieflüsse sollen sich nicht treffen, weil die Energie menstruierender Frauen nach unten fließt, die aller anderen aber nach oben. Außerdem scheidet der Körper dann Gifte aus, um sich zu reinigen. Besser also, die betreffende Frau hält einen gebührenden Abstand von etwa drei Metern. Wer nach solchen Überzeugungen lebt, gerät leicht in slapstickhafte Situationen. Da muss die Frau, die im Office die Besucher betreut, einen Reisepass in die Luft werfen, und die Inhaberin des Passes muss ihn wieder auffangen.

Das Ghee setzt mir heftig zu. Ich laufe hin und her, um der Übelkeit keine Chance zu geben, in die Speiseröhre zu wandern. Wir sollen uns nicht hinlegen. Wenn wir uns hinlegen, schläft die Verdauung ein und dann ist die Gefahr einer unfreiwilligen Entleerung groß. Dabei bin ich unendlich müde. Mir fallen beim Gehen die Augen zu. Eigentlich tue ich doch gar nichts. Die Kur ist tatsächlich kein Urlaub, stelle ich fest. Schon nach dem Dampfbad mit Ölmassage fühlte ich mich, wie heißt es so schön, wie ein nasses Handtuch. Einigen Kurenden bekommt das Butterschmalz auch nicht so gut. Einer muss sogar kotzen. Das heißt dann: die ganze Prozedur von vorn. Gefürchtet sind auch die Untersuchungen am dritten Tag. Angeblich sehen die Therapeuten es der Haut des Patienten an, ob noch ein vierter Tag Gheetrinken nötig ist.

Das Ghee ist überall. Weil es den Körper befeuchtet, ist unser Essen damit zubereitet, und zusätzlich gibt es auf unseren Reis immer noch einen Extraschlag. Überhaupt die Essensportionen. Jeder erhält von den Gerichten nur etwa ein Löffelchen, kann sich zwar beliebig nachfüllen lassen, aber nur wenige wollen sich vor den Mitessern als Vielfraße bekennen. Nach einiger Zeit gewöhne ich mich an die Miniportionen. Und satt fühle ich mich auch.

Wir leben wie in einem Dorf, aber mit angenehmen Begleiterscheinungen. Es ist hier klein genug, um schnell ohne komplizierte Terminabsprachen Leute zu treffen, und es ist groß genug, um unsympathischen Zeitgenossen aus dem Weg gehen zu können. Viele der Patienten leiden unter schweren Krankheiten. Ich bin nur wegen Verdauungsstörungen und anderen kleinen Malaisen hier. Eine Frau kommt schon zum neunten Mal, ihre chronische Polyarthritis schien überwunden, sie brauchte kein Cortison mehr und konnte normal gehen. Aber vergangenes Jahr erlitt sie einen schweren Rückfall, jetzt ist sie seit vier Wochen wieder in Behandlung. Da ist Anandan aus Hongkong, der Diabetes hat. Mit Ayurveda wird es ihm besser gehen, hofft er. Karl kämpft seit Jahren gegen seine Depressionen, auch er ist schon öfter hier gewesen. Er glaubt, dass ihm mineralische Medikamente, denen winzige Spuren von Gold oder Silber beigefügt werden, helfen können. Eine solche Therapie wäre auch für ihn, den vermeintlich reichen Westler, daheim eine teure Angelegenheit.

Ayurveda ist göttlichen Ursprungs, sagen die Schriften. Nach einer Legende soll der Gott Indra einem rishi, einem weisen Mann, Ayurveda als vollkommenen Weg zur Bekämpfung von Krankheiten gezeigt haben. Die Behandlung von Krankheiten steht im Mittelpunkt, aber genauso wichtig ist das Wissen, wie man Krankheiten vermeidet. Dazu gehören die richtige Lebensweise während der Jahres- und Tageszeiten, das Praktizieren von Yoga und Meditation. Die beliebten Ölmassagen sind nur ein Teil eines komplexen Systems.

Alles dreht sich um die Verdauung. Bei früheren Reisen ist mir schon aufgefallen, wie wichtig die Inder ihre Verdauung nehmen. Mir erschien es logisch, weil bei einem heißen Klima die vielen Bakterien schnell abgeführt werden müssen. Aber vielleicht ist die exzessive Beschäftigung mit diesem Thema auch ein Erbe des Ayurveda. Die Therapeuten fragen uns jedenfalls häufig nach dem Stuhlgang, ob man heute schon und wenn ja, wie es war. Man braucht ein gutes Verdauungsfeuer, agni genannt, um das Körpergewebe wieder aufbauen und erneuern zu können. Denn was nützen einem all die schönen Vitamine und Mineralstoffe, wenn der Körper sie nicht verwerten kann. Auch viele Gewürze gelten als Medikamente, weil sie die Darmtätigkeit ankurbeln oder andere wohltätige Wirkungen haben, wie zum Beispiel Asafoedita, das gegen Blähungen und Koliken hilft und hierzulande unter dem treffenden Namen Teufelsdreck bekannt ist.

Nach der ayurvedischen Lehre ist der Mensch gesund, wenn die drei Körperkräfte Vata, Pitta und Kapha, die sieben Körpergewebe und die drei Ausscheidungsprodukte Stuhl, Urin und Schweiß gut zusammenarbeiten. Mein großes Buch erklärt dazu, dass man nach der Toilette ein Gefühl der Leichtigkeit und der vollständigen Entleerung haben sollte. Soso. Das Aufstoßen geschieht leicht, und Winde entfahren ohne Geruch und Säure. Fein. Der Geist, die Sinne, der ganze Körper fühlen sich hell und klar an. Schön wär’s.

Endlich naht der große Tag. Der Gedanke, an einem einzigen Tag all die jahrzehntealten Schlacken in einem kilometerlangen Darm loszuwerden, fasziniert mich. Die Kandidaten schlucken eine Pille, deren Inhaltsstoffe man uns nicht erklärt, wir wollen es aber auch gar nicht so genau wissen, trinken Rizinusöl und einen Saft, der wie Holunderwein aussieht und gar nicht so übel schmeckt. Erst ist es zwei Stunden ruhig, aber dann mahlt und wühlt es gewaltig. Ich kann berichten, dass es ein großer Erfolg war. Zuletzt müssen sie mir sogar ein Gegenmittel geben. Aber ich fühle mich danach tatsächlich leicht und heiter, und das Wunderbarste ist, dass mein Gesicht am nächsten Tag die weiche Konsistenz eines Babypopos annimmt. Trotzdem habe ich fürs Erste genug vom Gheetrinken und den Abführprozeduren. Ich möchte jetzt auch all die schönen Massagen genießen wie die Touristen in ihren Wellness-Hotels. Aber hier im Village ist man sparsam mit den Behandlungen, höchstens eine am Tag, da sich der Körper sonst zu sehr anstrengen müsste. Schade.

In den letzten Tagen vor meiner Abreise müssen Medikamente für drei Monate verpackt werden. Die Kur geht nämlich zu Hause weiter. Wenigstens ist es schön warm geworden, die Sonne scheint den ganzen Tag. Morgens und Abends ist die Luft frisch und klar wie an einem Sommertag in den Alpen. So kenne ich Indien noch gar nicht. Ich genieße es und höre ab und zu mit Schrecken, in Deutschland soll es schneien.

ANGELIKA FRIEDL, 46, ist freie Autorin in Berlin