Work it!

RENAISSANCE Dance Mania Records gilt als das Motown der elektronischen Clubmusik. Sein unverkennbarer Sound ist die Blaupause für harten Acid und Ghetto-House

Lil Louis: „Frequency“

Iriving & Romeo: „Brighter Day“

3.2.6.: „Just Like Heaven“

Robert Armani: „Pulse“

DJ Funk: „Work That Body“

Robert Armani: „Ambulance“

Tyree & Blake Baxter: „Let it go“

Paul Johnson: „The Speaker Buster“

Zusammengestellt von Finn Johannsen und Julian Weber

VON FINN JOHANNSEN

Als Ray Barney, Inhaber des Chicagoer Houselabels Dance Mania 2001, von Steuerproblemen und strukturellem Wandel in der Musikwirtschaft geplagt, das Geschäft auf Eis legte, war nicht abzusehen, in welchem Ausmaß seine unabhängige Plattenfirma aus Chicago auch ohne weitere Veröffentlichungen florieren würde.

Bis zu jenem Zeitpunkt waren von 1986 an sage und schreibe 300 Veröffentlichungen zusammengekommen, veröffentlicht von einem kleinen, an der Westside von Chicago gelegenen Laden. In einer für die schnelllebige Clubkultur äußerst bemerkenswerten und einzigartigen Taktung.

Dancemania-Platten verkauften sich zu Boomzeiten tausendfach. Und doch schrumpften die Bestände in den Plattenläden über die Jahre immer mehr zusammen, bis nur noch wenige Exemplare aus Lagerbeständen übrigblieben, hochgepreist auf Sammler-Niveau.

Die weithin gesuchtesten Titel des Dance-Mania-Katalogs hingegen schraubten sich auf dem Gebrauchtmarkt bis auf dreistellige Beträge hoch. Und so war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Gründer davon Notiz nehmen würden, dass sich das Geschäft wieder ausreichend lohnen könnte.

Denn das Geschäft war vor allem bei Chicago House immer ein entscheidender Faktor. Rocky Jones von D.J. International und Larry Sherman von Trax Records, den maßgeblichen Unternehmern der House-Gründertage in den Achtzigern, waren Businesstypen von fast schon legendärer Zwielichtigkeit. Und auch ihre zahlreichen, mit Knüppelverträgen ausgebeuteten Künstler kommen in Interviews stets an den Punkt, an dem es eher darum geht, für die Musik angemessen bezahlt, als künstlerisch angemessen gewürdigt zu werden.

Bei Dance Mania wurde nach einer gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung gewirtschaftet. Der Sound der dort veröffentlichenden Produzenten war schon billig genug, kaum jemand konnte sich hochwertiges Equipment leisten, und so manche Genre-Klassiker wurden auf geliehenen Geräten zustande gebracht. Doch man war jung, sprudelte vor Ideen, und konnte sie gleich in die Tat umsetzen, denn auch Dance Mania presste nahezu alles, was von den lokalen Talenten angeliefert wurde.

Und das natürlich möglichst ökonomisch. Altes Vinyl wurde in den Presswerken recycelt: Man kann die vorher darauf enthaltene Musik irritierenderweise an leisen Stellen noch heraushören. Man sieht auf den Rillen Zeitungspapier oder sonst wie rätselhafte Krümelreste. Viele Platten sind flattrig und haben regelrechte Kerben am Außenrand. Und der Cut aus dem Mastering-Studio klingt bei einem Großteil der Platten so mumpfig, als hätte der Toningenieur begeistert ein Dolby-Verfahren benutzt, das schon in der frühesten Beta-Phase verworfen wurde.

Kurzum, Dance-Mania-Platten sind nichts für audiophil veranlagte Hörer. So mancher Fan ist schon bei dem Gedanken verzweifelt, welche Wirkung die Musik hätte entfalten können, wenn sie einfach besser klingen würde. Aber genau das ist es natürlich, was die Magie des Label-Repertoires ausmacht. Schon in den ersten Jahren erschienen Ausnahmeplatten von wichtigen Pionieren der House-Geschichte wie Marshall Jefferson („7 Ways“), Lil Louis („Frequency“) und Farley Jackmaster Funk („House Nation“), und obwohl man wie die anderen Chicagoer Labels sämtliche Phasen nach der ersten Blütezeit durchlief, zuerst Acid House, dann Vocal- und HipHouse – es gab immer diese Tracks, die sich etwas weiter voranwagten als das Restgeschehen. 1997 „borgten“ sich auch Daft Punk eine Sequenz des Dance Mania Tracks „Ghetto Shout Out“ und zählten mehrere Künstler des Labels auf. Und als dann die Konkurrenz das Level der ersten Erfolge mit kommerzielleren Stücken erzwingen wollte, ging man bei Dance Mania den entgegengesetzten Weg, und wurde radikaler.

Ausgehend von den reinen Rhythmus-Tools in den Sets legendärer DJs wie Ron Hardy oder dem Hot-Mix-5-Team des Chicagoer Radiosenders WBMX, entschlackte man jeglichen Ballast bis auf das Basisgerüst, den Track. 1990 erschien „Armani Trax“ von Robert Armani. Die Musik bestand nur noch aus einem Beat, Handclaps und einem sich stetig wiederholenden schabenden, metallischen Geräusch. Dennoch erzielt das Stück nur mit diesen minimalen Mitteln eine beeindruckende Sogwirkung, und der dazugehörige Erfolg machte schnell Schule.

Nicht nur in den lokalen Clubs, sondern auch für die schnell wachsende Techno-Szene Europas waren die rauen Tracks aus Chicago, etwa von DJ Rush, Parris Mitchell oder Glenn Underground, eine willkommene Alternative. Von ihrer oft fragwürdigen Klangqualität abgesehen, waren sie das perfekte Werkzeug, dynamisch, punktgenau und bedingungslos effizient. Ob alleinstehend in ihrer ganzen ausgefuchsten Reduktion oder im Mix als Unterstützung von auswärtigen Stücken mit mehr Arrangements, aber weniger Energie. Ab 1994 erhielt diese Mischung aus Beats und wenigen markanten Tonsignalen eine neue Bedeutung durch die Zufuhr von Elementen aus dem Gangsta-Bereich des HipHop und wurde zu Ghetto House.

Schon vorher waren Dance-Mania-Platten gern explizit, aber Produzenten wie DJ Funk, DJ Deeon oder Jammin’ Gerald trieben dies auf die Spitze. Das Tempo wurde weiter erhöht, und wenn man Fotos aus den Clubs in Chicago aus jener Zeit betrachtet, wird schnell klar, dass sich der rasant hochpegelnde Sexual Content vor allem an Frauen richtete, die auf der Tanzfläche die Sau rauslassen. Tanzen zu dieser Musik war eine zutiefst physische Angelegenheit und wurde mit größter Hingabe betrieben.

Und auch wenn man ein mehrstündiges DJ-Set nur mit Tracks bestreiten konnte, in denen man von einer herrischen Stimme aufgefordert wurde, irgendein Körperteil zu whippen oder zu worken, oder beides, die Musik war eine Dienstleistung unter extremer Belastung, die von den Künstlern sehr ernst genommen wurde.

Nach einigen Jahren, in denen sich dieser Sound wie geschnitten Brot verkaufte, ging es wieder zurück in den Untergrund, und entwickelte sich nach der Pleite des Labels in Chicago zu Phänomenen wie Juke oder Footwork, welche noch schneller, aber rhythmisch viel vertrackter waren und daher mit offenen Armen in der britischen Bass-Szene aufgenommen wurden.

Wie so oft, wenn etwas aufgegriffen wird, besinnt man sich auf die Ursprünge, und der Funke springt in alle Richtungen. Schon bald hörte man die Dance-Mania-Prototypen nicht nur in aktuellen Produktionen wieder, sondern auch im direktem Einsatz in der DJ-Kanzel, sei es in Kombination mit neueren Tendenzen oder in nostalgischer Reinkultur.

Natürlich ist es bezeichnend, dass der elektronischen Popmusik nach all den Jahren etwas zu fehlen scheint, das die Reaktivierung von Dance Mania immer noch bieten kann, aber schön ist es allemal. Diesmal klingen die Platten besser, und jeder wird angemessen bezahlt.