„Freiheit ist wichtiger als ein Badetag“

DATENSCHUTZ Bundesweit rund 10.000 Menschen demonstrieren trotz Hitze gegen großflächige Überwachung durch Geheimdienste. Edward Snowden gilt allgemein als Held, in Hamburg wird ein FDP-Politiker ausgebuht

„Wir werden laut sein, bis die Gedanken wieder frei sind!“

BRUNO KRAMM, PIRATENPARTEI

VON KATHARIN TAI
UND KAI VON APPEN

BERLIN/HAMBURG taz | „Eigentlich müssten hier Hunderttausende stehen“, begrüßt ein Organisator die Demonstrationsteilnehmer in Berlin, „es geht gegen die Verletzung unserer Grundrechte!“ Doch bei brennender Sonne und über 30 Grad haben sich am Heinrichplatz im Stadtteil Kreuzberg gerade mal rund 800 Menschen eingefunden.

Die Zahl wird sich im Laufe der Demonstration noch mehr als verdoppeln, aber der ganz große Protest fehlt. Hier sind sind nur die Leute, denen ihre „Freiheit wichtiger ist als ein Badetag“, sagt eine der Teilnehmer. Manche ziehen mit nacktem Oberkörper zum Brandenburger Tor. Eltern sind dabei mit Kleinkindern im Fahrradanhänger, die stolz ein Schild hochhalten, auf dem Edward Snowden abgebildet ist. Dazu ein Daumen nach oben, „I like“.

Unter dem Motto „Stop watching us!“ demonstrieren sie gegen die großflächige Überwachung, die durch die Enthüllungen Snowdens bekannt geworden ist. Wie hier haben sich am Samstag in 30 deutschen Städten, darunter Köln, München und Bochum Menschen zusammengefunden, um das Recht auf Privatsphäre und den Schutz von Whistleblowern einzufordern. Insgesamt haben sich nach Veranstalterangaben bundesweit rund 10.000 Menschen beteiligt. Allein in Frankfurt am Main sollen rund 4.000 gekommen sein.

In Hamburg waren es bis zu 3.000 Menschen. Fahnen von Grünen, Linkspartei und Piraten dominierten das Bild. Selbst der Landesverband der FDP hatte sich dem Protestbündnis angeschlossen. „Im Zweifel für die Freiheit und gegen die Sicherheit“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen. Sein Redebeitrag fiel aber nicht überall auf Zustimmung. Nach mehreren „Hau ab!“-Rufen aus dem Publikum wurde Müller-Sönksen sogar auf der Bühne so angerempelt, dass er hinfiel.

Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Jan van Aken beklagte die Scheinheiligkeit mancher etablierter Parteien. Einerseits gebe es einen Aufschrei wegen der NSA-Spitzeltätigkeit, wenn es im Bundestag aber um die Drohne Euro Hawk gehe, die mit NSA-Software ausgestattet werden sollte, heiße es: „Darüber wollen wir hier nicht reden.“

Auch in Berlin kritisierten die Demonstranten nicht nur die Spitzelei der USA. Auf Transparenten wurden auch deutsche Geheimdienste sowie die Konzernmacht von Facebook, Google und Apple kritisiert. Ein Redner erwähnte sogar den in Bayern in der geschlossenen Psychiatrie einsitzenden Gustl Mollath: „Wir reden über die NSA, Prism und Snowden, aber es reicht nicht, mit dem Finger immer auf das böse Amerika zu zeigen. Auch wir in Deutschland haben schützenswerte Personen.“

Viel Hoffnung auf tatsächliche Änderungen haben die Demonstranten aber nicht. „Ich glaube nicht, dass wir wirklich etwas bewegen können“, meint ein Teilnehmer, „aber ich möchte trotzdem auf die Straße gehen, um zu zeigen, dass ich mit der Überwachung nicht einverstanden bin.“

Optimistischer sind da schon die Redner der Parteien, die den Protest unterstützen. „Wir werden so lange laut sein, bis die Gedanken wieder frei sind!“, ruft Bruno Kramm, bayerischer Spitzenkandidat der Piratenpartei. Und Daniel Wesener, Landesvorsitzender der Berliner Grünen, meint: „Natürlich können wir etwas bewegen, wir müssen auf der Straße und im Parlament Druck machen, damit die Bundesregierung endlich handelt“.

Am Montag geht es weiter: Die „Digitale Gesellschaft“ will zum neuen BND-Gebäude in Berlin spazieren. Das soll das Augenmerk auf die deutschen Geheimdienste lenken.

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