Kinder machen arm? – Quatsch!

Familien mit zwei Kindern sind deutlich seltener arm als der Durchschnitt

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND COSIMA SCHMITT

Machen Kinder arm? Sind Deutschlands Akademikerinnen im Gebärstreik? Ums Mutterdasein ranken sich zahlreiche Vorurteile. Eine zunehmende Zahl an Studien liefert Fakten und entlarvt Klischees. Ein Überblick.

1. Als Mutter kann man die Karriere vergessen.

In der Regel stimmt das. Der typische Chef ist Ehemann und Vater. Die typische Chefin hingegen ist unverheiratet und kinderlos. Insgesamt schafft es nur eine Gruppe der Frauen ähnlich oft wie Männer in gehobene Posten: die jungen Kinderlosen. Das ergab der aktuelle Mikrozensus, eine repräsentative Haushaltsbefragung. Auch eine gestern von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgelegte Untersuchung kommt zu dem Ergebnis: Die Mütterrolle sei ein „messbares Hindernis“ für die Karriere. Die wenigen Mütter, die es in Spitzenjobs schafften, bewiesen laut Studie Geschick bei der Partnerwahl. Sie sind mit Männern liiert, die sich weit öfter als der Durchschnitt an der Kindererziehung beteiligen.

Ein wichtiger Grund für den Karriereknick: Sehr viele Mütter haben nur eine Teilzeitstelle. Die Arbeitszeiten von Frauen und Männern driften heute weiter auseinander als noch vor wenigen Jahren. Zudem überdauert die ungleiche Verteilung der Kinderpflichten. Nur fünf Prozent der Väter nehmen Elternzeit.

Warum Mütter so selten Karriere machen, ist insgesamt schwer zu erklären. Zu vielschichtig sind die Wechselwirkungen. Bekommen Frauen, die schlechte Berufschancen und wenig Ehrgeiz haben, eher Kinder? Oder sind die Einschränkungen der Babypause tatsächlich so gravierend, dass eine Karriere bei aller Mühe nicht mehr möglich ist?

2. Die Akademikerinnen sind schuld an der deutschen Geburtenflaute. Denn 40 Prozent von ihnen bekommen keine Kinder.

Die Zahl 40 Prozent wird immer wieder verbreitet, stimmt aber so nicht. Sie beruhte auf Zählweisen, die nur Frauen unter 40 Jahren berücksichtigten. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung formuliert in seiner neuesten Studie vorsichtiger: „Mindestens 30 Prozent“ der 38- bis 43-jährigen Frauen mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss seien kinderlos. Unter den Hauptschülerinnen haben nur 20 Prozent der 40-jährigen Frauen keinen Nachwuchs.

Im Schnitt wünschen sich die Deutschen 1,7 Kinder. Sie bekommen aber nur 1,3. Die schwarz-rote Familienpolitik erprobt jetzt neue Wege, diese Kluft zu verringern (siehe unten).

3. Erst die Karriere, dann das Kind – das ist der beste Weg.

Nicht unbedingt. Der Hang zum Nacheinander von Karriere und Kind birgt Risiken. Erst beendet man die Ausbildung, dann sammelt man Berufserfahrung und plant erst dann den Nachwuchs. Die Folge: Das Zeitfenster fürs Familiengründen verkürzt sich auf höchstens zehn Jahre, in denen dann womöglich der geeignete Partner fehlt. Experten sprechen deshalb von einer „Rushhour“.

Viele Paare sind zudem überfordert, weil sie zwischen 30 und 40 Jahren alles gleichzeitig tun sollen: eine Festanstellung erringen, ein Kind zeugen, ein Haus bauen. Ein Ausweg wären kürzere Studienzeiten – und mehr Mut zur frühen Mutterschaft. Dem gegenüber steht der gesellschaftliche Trend, sich noch als Dreißigjähriger zu jung fürs Elterndasein zu fühlen. Ebenso fehlen Teilzeitmodelle für Azubis und ausreichend Kitas für studierende Eltern. Zudem fürchten viele – durchaus zu Recht –, mit dem „Doppelstigma“ Berufsanfänger und Mutter kaum Chancen auf dem Jobmarkt zu haben.

4. Je mehr Kinder eine Familie hat, desto ärmer ist sie.

Das stimmt so nicht. Laut dem Armutsbericht der Bundesregierung haben zwar Paare mit nur einem Kind und solche mit drei und mehr Kindern ein höheres Armutsrisiko als der Durchschnitt. Das heißt, sie verfügen über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens für einen Haushalt dieser Größe. Anders sieht es jedoch in Familien mit zwei Kindern aus: Sie sind deutlich seltener arm.

Möglicherweise ist die vierköpfige Familie eher ein Mittelschichtsmodell. Vielleicht sind die Erwerbseinkommen von Alleinverdienern vielerorts aber auch einfach zu klein, um mehrköpfige Familien über der Armutsgrenze zu halten.

5. Familien sind in den vergangenen Jahren im Vergleich zu den Kinderlosen immer ärmer geworden.

Das ist nicht richtig. Die Armutsquote der Haushalte ohne Kinder ist zwischen 1998 und 2003 um 1,5 Prozentpunkte gestiegen. Bei den Haushalten mit Kindern kletterte sie hingegen nur um 1,3 Prozentpunkte in die Höhe, liegt allerdings nach wie vor über der Quote der kinderlosen Haushalte.

Überraschend haben sich auch die Familieneinkommen entwickelt. Während im Zeitraum zwischen 1998 und 2003 die Haushaltseinkommen von Paaren ohne Kinder nur um 9 Prozent zulegten, gewannen Paare mit zwei Kindern fast 19 Prozent an Einkommen hinzu – was vielleicht auch dafür spricht, dass die Leute eben erst in höheren, einkommensstärkeren Lebensjahren Nachwuchs in die Welt setzen. Eine vierköpfige Familie hat nach diesen Zahlen netto im Schnitt im Westen 4.000 Euro monatlich zur Verfügung, im Osten sind es 3.528 Euro.

6. Alleinerziehende sind besonders arm dran.

Das stimmt nur teilweise. Zwar ist der Anteil der armen Alleinerziehenden sehr hoch, ein Drittel hat ein Einkommen unter der Armutsgrenze. Doch dieser Anteil ist in den letzten Jahren nicht gestiegen. Die Sozialhilfequote der Alleinerziehenden ist sogar leicht gesunken: Vor zehn Jahren bekamen noch 24 Prozent der Alleinerziehenden Hilfe zum Lebensunterhalt, im Jahre 2004 waren dies 23,7 Prozent.

Von den allein erziehenden Männern beziehen im Übrigen lediglich 6,5 Prozent Sozialhilfe, bei den Frauen hingegen waren dies 26,1 Prozent. Umgekehrt heißt dies allerdings auch: Dreiviertel der Alleinerziehenden verdienen genug eigenes Geld oder beziehen ausreichend Unterhalt, um sich und ihren Nachwuchs ohne Stütze durchs Leben zu bringen.