Tiefergelegt über Lande cruisen

Kalifornien macht`s vor: Ausgefallene Cruisingräder lösen das alte Rad ab. Zu Besuch in einem Kölner Laden, der ganz Europa mit den aufgebockten Rädern beliefert. „Fährt sich wie von selbst und liegt gut auf der Straße“, sagt eine 77-jährige Käuferin

von SIMON LENARTZ

Sanft streicht Ruth Weisheit über den Sattel ihres neuen Rades. Den nussbraunen Ledersitz ziert ein eingestanztes Blumenmuster – passend zu den ebenfalls nussbraunen Lenkgriffen und der Rosenoptik auf den weißen Schutzblechen des Beachcruisers. „Rosie Fullfender“, nennt sich das Modell, das jetzt Ruth gehört. Ruth Weisheit ist 77 – und gerade hat sie mit ihrer EC-Karte einen Beachcruiser für schlappe 568 Euro und 90 Cent erworben.

Der kleine verwinkelte Laden mitten im belgischen Viertel in Köln ist ruhig und gemütlich. Über dem Eingang steht in orangenen Buchstaben „Radfieber“.

Früher, ganz früher, war das denkmalgeschützte Haus eine Kutschenwerkstatt. Im Lagerraum sieht man noch die Holzdielen, die über der Grube lagen, über der die Kutschen repariert wurden. Heute sind die Kutschen meist farbenfrohe Beachcruiser oder lässige Chopper. Aufgebockt werden sie in der kleinen Werkstatt, im Zentrum des verwinkelten Ladens. Auch hier liegen Holzdielen auf dem Fußboden. Aus dem Radio dudelt Musik – Campusradio. Martin Schmitt montiert gerade den Einkaufskorb für Ruth Weisheit.

Ruth Weisheit ist eine hippe Oma. Als sie auf ihrem neuen tiefergelegten Fahrrad eine Proberunde dreht, gibt es niemanden, der sich nicht nach der grauhaarigen Oma mit der roten Wollmütze auf dem farbenfrohen Beachcruiser mit den quietschgrünen Felgen, den extrabreiten Reifen und dem pinken Rosenmuster auf den weißen Schutzblechen umsieht. „Das fährt ja von selbst. Und das liegt so gut auf der Straße“, freut sie sich, während sie vom Rad steigt, „und der Lenker ist so schön gerade.“ „An so eine Dame, habe ich noch nie einen Cruiser verkauft“, meint Schmitt. Cruiser-Kunden seien unberechenbar, sinniert sein Kollege Sebastian van Velthofen, „hier kommen Typen rein, mit Schlips und Designerschuhen, die kaufen aus dem Stand Cruiser für 1.000 Euro.“ Der Kunde, den er gerade betreut, ist bodenständiger. Oliver Blahak fährt schon seit langem einen Cruiser. Jetzt will er ein neues und sportlicheres Modell von den modischen Rädern haben. „Das habe ich schon beim letzten Mal hier stehen sehen“, sagt er, „das ist mir schon damals positiv aufgefallen.“ „Das ist ein Weltrekordhalter. Kein Fahrrad hat einen längeren Namen“, sagt Sebastian und zeigt auf den metallic-grünen Rahmen. „humuhumu-nukunuku-apuaa`a“ steht in schwarzen Buchstaben auf der Stange. „By the way: du wärst der Einzige in Köln, der mit diesem Rad hier rumfährt.“ Eine halbe Stunde und einige Probefahrten später ist Oliverer Blahak der Einzige.

Am „humuhumu-nukunuku-apuaa`a“ muss Martin allerdings auch noch rumschrauben. Der hawaianische Sportcruiser bekommt noch eine Gangschaltung verpasst. Weil die Nabe des Hinterrads jetzt größer ist, muss der gelernte Kfz-Mechaniker neue Speichen in die kanariengelbe Felge einbauen. Das Campusradio spielt Hip-Hop, während Martin an dem blitzblanken Rad herumschraubt und mit gelassenen, eingeübten Handgriffen dem Cruiser eine neu Drei-Gangschaltung verpasst.

Seit zwei Jahren boomt das Geschäft mit den Beachcruisern. Als Radfieber-Chef Marcel Jansen vor etwa zwölf Jahren anfing, die Fahrräder mit dem tiefen Sattel und dem hohen, breiten Lenker zusammen zu schrauben, da hatte der bärtige Holländer nur eine kleine Garage, in der er herumwerkelte. 15 Quadratmeter war der Schuppen groß, in der Marcel donnerstags, freitags und samstags Fahrräder reparierte. Jetzt fragen ihn die Leute, warum er nicht vergrößern wolle. „Ich habe gar nicht Lust auf mehr“, antwortet er dann, „das bedeutet immer mehr weniger Spaß. Ich will schrauben und nicht der Aufpasser in irgendwelchen Filialen sein.“

Schrauber ist auch Martin Schmitt, „mit Leib und Leben“, wie er selbst sagt. Im Moment schraubt er einen minze-farbenen Beachcruiser der Marke nirve zusammen, den ein Kunde über das Internet bei der Kölner Werkstatt bestellt hat. „Sunflower“ heißt das Modell mit den aufgeklebten Sonnenblumen. Auf den grauen Dielenbrettern liegen die einzelnen Teile des Rades noch herum. In Martins Rücken steht ein uralter, metallener Apothekerschrank aus Eisen. Auf jedem der vielen kleinen Schublädchen klebt ein Aufkleber. „Zugnippel“, „Schrägkonus“, oder „Bowdenzugkappe“ steht auf den weißen Schildchen. „Was sagt denn die Werkstatt zum Aufbau eines X3“, ruft Sebastian van Velthofen von hinten in die Werkstatt. „Find ich ziemlich Scheiße“, frotzelt Martin zurück, und beiläufig füt er hinzu „Das ist auf jeden Fall eine Lebenseinstellung.“

„600 verschieden Einzelteile haben wir hier“, sagt Marcel Jansen. Der Chef von Radfieber war einer der ersten, der die modischen Räder nach Deutschland brachte. Als Jansen vor zwölf Jahren in den USA war, wollte er sich ein Fahrrad leihen, um am Venice Beach herum zu radeln – er bekam einen Beachcruiser. Mittlerweile ist er ganz weit vorne in Europa. „Ich will im Grunde den Ball flach halten“, sagt der Familienvater, „der Markt ist groß genug für alle, ich will da keinen Stress.“ Stress hat dagegen Thomas Rinke. Der Student mit den mausgrauen, ausgewaschenen Baggy-Hosen springt für Ruths Sonderwünsche. „Das Rad hat mich direkt fasziniert. Wie ein Rosenstrauß auf Rädern“, sagt die ältere Dame gerade halblaut zu sich selbst, während Thomas Rinke durch den Laden rauscht und der 77-Jährigen das Zubehör für ihren Cruiser zusammensucht. Körbchen, Sattelbezug, Luftpumpe, Licht, Fahrradschloss – Ruth Weisheit weiß, was sie will. „Hat keiner – hat keiner“, sagt die Rentnerin. „Haben sie den Eindruck, dass ich ein psychologischer Fall bin?“, fragt sie Thomas Rinke. Der grinst, schaut sie durch seine Brillengläser hindurch an und sagt mit ernster Miene: „Nein, ganz und gar nicht. Sie haben gerade ein Rad bei mir gekauft.“