Meine Familie und ich nicht
Die Qualitätsprobleme des „Spiegels“ und die neue Titelgeschichte zum Kindermangel der Deutschen
Kinder, Kinder, war das ein Spiegel-Titel! Verfasser Matthias Matussek hat den Untergang der deutschen Familie mit der Präzision einer Dampfwalze nachgezeichnet. Kein Mutterglück nirgends, „nicht einmal in Zeiten der Pest“ gab es weniger Gebärfreude. Und die seltenen Kids, die noch zur Welt kommen, sind entweder adipös und motorikgestört, oder die Eltern lassen sie verhungern. Oder marodierende türkisch-arabische Jugendbanden „im Dschungel Neuköllns“ machen sie nieder. Der Rest sind lauter kleine ETs. O-Ton Matussek: „Kinder, die heute zur Welt kommen, werden von den Eltern beäugt wie Außerirdische.“
Matussek, ganz Vulgärapokalyptiker, zeigt das Bild einer untergehenden Gesellschaft im Gebärstreik. Gleichzeitig betet er die Konkursmasse der bürgerlichen Familie mit religiöser Inbrunst an. Die Familie als „Kernzelle unseres Lebens, unserer Menschwerdung“ sei von den 68er Kommunarden „zertrümmert“ worden, weint er, und mit ihr „das Urvertrauen“.
Ideologischen Input für sein krudes Familienepos erhielt der Spiegel-Mann von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, dessen Buch „Minimum“ über den „biologischen GAU“ im deutschen Kinderzimmer er mit dem Eifer eines katholischen Ministranten nacherzählt. Schirrmacher darf dann auch noch im Spiegel-Gespräch seine verquasten Thesen zur „Überlebensfabrik Familie“ ausbreiten.
Interviewer Matussek gibt den kritiklosen Claqueur und findet, dass die kinderlosen Deutschen eine „kulturelle Lücke“ reißen, in die der „familienstarke Islam hineinstößt“. Gleitgel dabei ist „die Identitätsschwäche der atomisierten westlichen Gesellschaft“. So viel intellektueller Magerquark war den Spiegel-Kollegen, die von dem Kulturchef mit den extrabreiten Hosenträgern einiges gewohnt sind, dann doch zu viel. Empörung, Fassungslosigkeit und schlichte Scham kennzeichneten die montägliche Blattkritik, bei der Matussek fehlte. Die Titelgeschichte wurde von allen Seiten als „rein ideologisch“, „weitgehend faktenfrei“ oder als „gedruckte Jesuitenpredigt“ abgekanzelt. Auch Redakteure des Berliner Büros hatten ihr Entsetzen formuliert. Der Geist der 50er-Jahre und „biologistische Weltsichten“ machten sich breit.
Chefredakteur Stefan Aust ertrug die Blattkritik wie ein Dackel den Gewitterregen. Er selbst hatte den Titel bei Matussek bestellt – eine Neuauflage der Kumpanei zwischen Schirrmacher und dem Spiegel-Chefredakteur, bei der die Bücher der jeweils anderen Seite hochgejazzt werden.
Für die Kritiker im eigenen Haus sind die Qualitätsprobleme des Spiegels mit diesem Titel dramatisch bestätigt worden. Auch sonst wimmelt es vor Fehlern. Der neue Bundespräsident ist plötzlich erst „seit einem Dreivierteljahr“ im Amt (Seite 30), für Arbeit ist neuerdings Wirtschaftsminister Glos zuständig (S. 22) und der Fraktionsgeschäftsführer der Union heißt jetzt Rüttgers statt Röttgen.
Und dies noch: Matussek und Schirrmacher, die beiden Granden des Spiegel-Titels, bringen es zusammen auf gerade zwei Kinderchen und ziemlich bunte familiäre Verhältnisse. Obacht, dass da nicht der Islamist hineinstößt. Hans Jakubasch
